Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
tauschen. Mein guter Wille schien sie jedoch nicht ganz zu überzeugen. Aber ich meinte es ernst. Warum sollte ich in einer Wohnung bleiben, wo gerade ein Mord geschehen war und wo es schon früher Morde gegeben hatte? Neben vielen anderen Gewalttaten. Es war auch keine gute Gegend für Familien mit Kindern, mitten in der City, mit allen herumstrolchenden Stadtwölfen vor der Haustür. Ich hatte schon ein paarmal versucht zu tauschen, aber nun gab es kein Zurück mehr.
»Du kannst heute nachmittag zu ihr fahren«, sagte Simon. »Wir brauchen dich nicht länger. Du kannst uns nichts Neues mehr erzählen.«
Ich starrte ihn an.
»Was zur Hölle meinst du? Ihr braucht mich nicht länger?«
»Du hast doch Urlaub.«
»Habe ich nicht. Das war einmal.«
»Aber Rolle, du …«
»Ich bin hier und voll arbeitsfähig, und ich verlange, an den Ermittlungen im Fall Karsten Lund beteiligt zu werden. Du hast selbst gesagt, daß wir mit der Abteilung Gewaltverbrechen zusammenarbeiten.«
»In gewissem Sinne ja. Aber …«
Das Wort ›aber‹ enthielt den längsten Vokal, den ich je gehört hatte. Er sollte andeuten, daß meine Behauptung, ich sei voll arbeitsfähig, eine gewaltige Übertreibung war, etwa wie wenn eine liberale Partei verkünden würde, sie wolle freiwillig in die Opposition gehen.
»Simon, da gibt es keine Diskussion. Du müßtest mich schon mit Polizeihunden von hier fernhalten.«
Das hatte nichts mit Pflichtbewußtsein zu tun. Es ging um etwas ganz anderes. Der Mörder oder die Mörder hatten ihr Opfer in Elins Bett gelegt. Wenn Elin nicht so verschlafen gewesen wäre, hätte sie vielleicht einen Schock für das ganze Leben bekommen.
Karstens Tod war zwar bedauerlich, belastete mich aber nicht so stark. Daß Elin jedoch einen psychischen Schaden hätte davontragen können, ließ mich rot sehen. Mein Motiv war reine und primitive Rachsucht, aber wenn mich die anderen lieber als einen pflichtversessenen Workaholic sahen, sollte es mir nur recht sein. Die meisten edlen Taten haben miese Motive im Hintergrund.
Simon hustete schwer und brummte, ohne mich anzusehen: »Nun denn. Wir können dich nicht zwingen.«
»Dann ist die Sache klar. Was wissen wir?«
Simon schlug eine schon recht umfangreiche Mappe auf und kramte in den Papieren.
»In dem Haus in der Drottninggatan, in dem du wohnst, sind sonst nur Firmen untergebracht. Es gibt natürlich einen Schlüsselcode, aber da die Firmen viele Besucher haben, gibt es für alle eine Wechselsprechanlage. Im Vorderhaus sitzt im obersten Stockwerk ein Serviceunternehmen. Dort wird sehr oft auch an Wochenenden gearbeitet. Etwa Viertel nach eins klingelte es, und jemand sagte: ›Hej, hier ist Lindgren von Sydsvenska Tegel im ersten Stock. Sei doch so nett und mach bitte mal auf. Ich habe meine Schlüssel zu Hause vergessen.‹ An der Sprechanlage war ein neu Eingestellter, der natürlich nett sein wollte und öffnete.«
»Wer hätte das nicht getan?« bemerkte Pelle.
Sunes Gesichtsausdruck verriet, daß er da anderer Meinung war, aber Pelle hatte wohl recht. Keiner rennt runter und läßt sich einen Ausweis zeigen, wenn man nur den richtigen Ton findet.
»Der Angestellte des Serviceunternehmens hat ausgesagt, daß der Mann ganz normal freundlich geklungen habe. Ein wenig entschuldigend, weil er ja Umstände machen mußte.«
»Was ist mit meiner Tür?« fragte ich. »Ich habe ein Sicherheitsschloß und verstärkte Türpfosten.«
»Im Hinterhaus war niemand. Du warst in Skansen, und die fünf Unternehmen hatten geschlossen. Sie konnten ungestört arbeiten.«
»Sie?« fiel ich ihm ins Wort.
Simon nickte und schaute auf ein anderes Blatt.
»Zwei Mann. Eine Zeugin gibt an, daß sie vor dem Tor zwei Männer gesehen hat. Einer bediente die Wechselsprechanlage. Sie hatten einen großen Pappkarton bei sich, auf dem so etwas wie ›Ein neuer Stuhl aus Anderstorps Stuhlfabrik‹ gestanden haben soll. Die Zeugin erinnert sich besonders gut, weil ihre Mutter aus Anderstorp stammt. Dafür kann sie nicht viel über das Aussehen der Männer sagen, außer, daß sie wahrscheinlich jünger als dreißig Jahre waren und prächtige Schnurrbarte trugen.«
»Bestimmt besonders echte«, murmelte Pelle.
»Genau. Auf alle Fälle sah sie, wie sie hineingingen. Mehr nicht, und sie konnte sich ja überhaupt nur wegen des Ortsnamens Anderstorp erinnern. Tja, so betraten die Herren also den Hof und steuerten Rolles Wohnung an. Die Tür meißelten sie regelrecht auf, sie hatten ja Zeit
Weitere Kostenlose Bücher