Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
der Hörer zu Boden.
Er lehnte sich gegen die Wand, und auch der letzte Rest Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Graubleich und elend stieß er heiser hervor: »Jetzt ist es aus mit mir!«
Zweites Kapitel
Ich nahm den Hörer auf und lauschte. Niemand war dran. Martensson hatte wohl gesagt, was er über das Auto zu sagen hatte. Ein seltsam wimmernder Laut lenkte meine Aufmerksamkeit auf Karsten Lund. Er weinte jetzt, und die Tränen mischten sich mit den Schweißbächen.
»Ich will nicht sterben!« flüsterte er.
»Es reicht ja, wenn du den Wagen wegfährst.«
Er schüttelte langsam den Kopf.
»Du begreifst nicht! Du hast nicht die mindeste Ahnung!«
Schwerfällig ging er zur Tür, öffnete sie und tappte die Treppe hinunter. Die ganze Zeit schluchzte er. Ich lüftete gegen den Schweißgeruch und ließ das Fenster weit offenstehen.
Was hatte ich nicht begriffen? Ein weinender Mann bringt einen doch zum Nachdenken. Tränen waren eine Waffe, die er vorher noch nie angewendet hatte. Karsten Münchhausen hatte gefleht, war energisch geworden, hatte sich nicht um Gegenargumente geschert und vor allem ununterbrochen geredet. Der Karsten von soeben hatte kaum einen Ton herausgebracht. Hätte ich ihm helfen sollen, anstatt ironisch und abweisend zu sein?
Im Branchentelefonbuch schlug ich unter »T« nach. Es existierte kein Unternehmen namens Traktorausrüstungs AG. Ich runzelte meine bereits faltige Stirn. Sollte ich Simon anrufen? Andererseits war ja nichts weiter passiert, als daß er mich in Tränen aufgelöst verlassen hatte. Drittens war das nichts Ungewöhnliches für mich. Mit weinenden Menschen umgehen zu können, gehört zu den Berufsvoraussetzungen eines Kriminalisten. Viertens klebte sein Angstschweiß an meinen Wänden. Und fünftens vernahm ich endlich die bekannten und ersehnten Schritte im Hof. Virenas waren ein wenig zögernd, Elins dagegen eifrig trippelnd. Ich öffnete die Tür und breitete die Arme aus.
»Wer war denn das, der da aus unserem Eingang gerannt kam?« fragte Virena. »Der sah ja völlig verstört aus.«
»Das muß einer gewesen sein, der am hellichten Tag Gespenster sieht«, gab ich leichthin zurück. »Darf ich fragen, wie ihr den Tag verbracht habt?«
Elin hatte verschiedenes zu berichten, und danach folgte eine strenge Vorlesestunde. Wenn ich auch nur ein einziges Wort vergaß, erhielt ich einen wohlverdienten liebevollen Knuff als Strafe.
Endlich wurde es Schlafenszeit, und ich versprach, daß wir am nächsten Tag alle zusammen in das Freilichtmuseum Skansen gehen und uns die Tiere ansehen würden. Nun mußte ich schnell noch alle Tiere imitieren, an die ich mich erinnern konnte. Ich war nicht ganz sicher, wie ein Elch klingt, brachte dann aber doch eine Art Brüllen zustande, das gutgeheißen wurde. Als Elin eingeschlafen war, deckte ich sie noch einmal richtig zu. Das war nicht notwendig, aber wichtig. Virena hatte Avocados, Kaviar, geröstetes Brot und Emmentaler auf den Tisch gebracht; die hohen Gläser versprachen gut gekühlten Moselwein. Das war das Stärkste, was ich trinken durfte, aber anderthalb Glas konnten einem angestrengten Magen nicht schaden, im Gegenteil.
»Das wird schön werden, am Montagmorgen zu dem Kurheim zu fahren«, sagte Virena. »Ich habe so viel Gutes darüber gehört.«
»Hauptsache, wir können Zusammensein«, meinte ich. »Das macht zwei Wochen Mohrrübenkauen erträglich.«
Sie nahm einen Schluck Wein und blinzelte mir im Schein der beiden Kerzen zu. Ich bestand auf Kerzen. Ich, der Romantiker. Es sind immer wir Männer, die im Kino anfangen zu heulen.
»Es wird dir guttun, Roland. Du siehst ein bißchen abgekämpft aus.«
»Na, na, na. Ich bin immer noch geschmeidig wie ein Panther und stark wie ein Tiger.«
Sie verzichtete darauf, meine Dschungelbilder zu kommentieren, sie hätte ja darauf hinweisen können, daß es sich um einen Panther handelte, der schon bald als Pensionär durch die Gegend schleichen würde, und um einen Tiger, der ernsthaft über den Abschluß einer Pflegeversicherung nachdachte. Gegen neun Uhr klingelte das Telefon, und Virena vermutete, daß es ihre Schwester in Angermanland wäre, die sich ein wenig über den neuesten Großstadtklatsch informieren wollte. Aber nach ein paar Sekunden hielt sie mir den Hörer hin.
»Hallo, Hassel.«
Es war eine rauhe, bellende Männerstimme, die ich keinem meiner Bekannten zuordnen konnte.
»Wer ist da?«
»Du hattest heute Besuch von Karsten Lund.«
»Hatte ich?«
»Das
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