Rolandsrache
sofort zu Boden. Als auch ich niedergerungen war, machten sich zwei an der Statue zu schaffen. Sie nahmen unsere Spaltäxte, schlugen auf die Blöcke ein und schoben die fertigen vom Sockel.« Er brach ab und hielt sich den Kopf.
Anna erschauderte bei seinen Worten. »Wer sollte so etwas tun und warum?« Ihr Vater war beliebt und zu allen immer freundlich.
»Ich weiß es nicht, ich kannte keinen von ihnen, sie trugen tief im Gesicht sitzende Gugeln.«
Hilfe suchend wandte sich Anna an ihre Mutter, doch diese reagierte nicht. Sie stand da, das blutdurchtränkte Tuch in der Hand, und starrte mit leeren Augen auf ihren Mann hinunter.
Die Nachbarn hatten betroffen und mit guten Wünschen das Haus verlassen, als der Bader und Mechthild, die Kräuterfrau, eingetroffen waren. Es hatte gedauert, bis sie den Blutstrom endlich zum Stillstand bringen konnten.
»Sein Körper ist schwach, und er blutet von innen. Dagegen kann auch ich nichts ausrichten. Nun möge Gott ihm helfen. Es wäre gut, wenn der Priester bald kommt«, sagte Mechthild mit gedämpfter Stimme, ehe sie das Zimmer kurz verließ.
Anna blieb mit ihren Gedanken zurück, die sich so düster und schmerzhaft anfühlten wie nie zuvor. Noch gestern hatte ihr Vater seine Scherze gemacht, und nun lag er da, ganz blass und näher am Tod als am Leben. Annas Hand ruhte auf der Schulter ihrer Mutter, die keine Regung zeigte und sonderbar still war. Sie drehte unentwegt das blutige Tuch, das sie noch immer in ihrer Hand hielt.
Als Mechthild zurückkam, zog ein Duft aus Kräutern und Wein durch den Raum. Anna bemerkte, dass Mechthilds dunkles Gewand von den Bemühungen um ihren Vater blutgetränkt war. Mühsam versuchte sie nun, dem Verletzten einen Trank einzuflößen, was ihr jedoch nur schwerlich gelang.
»Ich hoffe, dies wird den Schmerz lindern und die Blutung zum Stillstand bringen.« Danach legte sie einige Kräuter, eingewickelt in feuchte Tücher, auf seine Stirn.
»Alles meine Schuld, es ist alles meine Schuld.« Claas fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. Anna hatte beinahe vergessen, dass er auch noch da war, und hob erstaunt den Blick.
»Was meinst du damit?«, fragte sie. Er war doch selbst übel zugerichtet und so schwach, dass er kaum stehen konnte.
Schweigend trat Claas näher an ihren Vater heran und schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf.
Es klopfte, und ihre Mutter erwachte endlich aus ihrer Starre. »Das Brot!« Sie stand auf, ließ das Tuch fallen und ging geradewegs in die Küche.
Mit offenem Mund starrte Anna ihr nach. Wie konnte sie jetzt an das Brot denken? Was war nur mit ihr los? Ihr Mann lag womöglich im Sterben! Als es erneut klopfte, ging Anna zur Tür, und als sie öffnete, blies der kalte Novemberwind augenblicklich zu ihr herein und ließ sie frösteln. Vor ihr stand Priester Arens aus ihrer Pfarrkirche, der ein Holzkreuz in der Hand und ein besticktes Tuch über dem Arm trug. Mit einem höflichen Knicks bat sie ihn herein.
»Ich hörte von dem Unglück und bin sofort hergeeilt.«
»Es ist so furchtbar, Hochwürden.«
»Wie geht es deinem Vater und wo ist er?«
»Sehr schlecht. Er ist immer noch nicht erwacht. Ich bringe Sie zu ihm.«
Anna schritt voraus, doch an der Küchentür blieb sie stehen und traute ihren Augen nicht. Ihre Mutter summte ein Lied und war im Begriff, den letzten Brotteig in den Ofen zu schieben. Die beiden fertig gebackenen Laibe lagen nun dampfend auf dem Küchentisch.
»Mutter, kommst du? Der Priester ist hier.«
Doch diese machte keine Anstalten, sondern lächelte zu ihnen herüber und widmete sich wieder dem Ofen.
»Aber …« Anna wollte gerade protestieren, als sie die kühle Hand des Priesters auf ihrem Arm spürte. Verwundert drehte sie sich um. Er schüttelte den Kopf und deutete mit einem kurzen Nicken auf ihre Mutter.
»Lass sie nur und bring mich zu deinem Vater, er braucht uns nun dringender.«
Natürlich hatte er recht. Anna verdrängte ihre Verwirrung und führte den Geistlichen zum Krankenlager. Mechthild und der Bader machten ihm Platz und erklärten, wie es um den Vater stand. Beinahe unauffällig senkte der Bader dabei die Lider, doch Anna war es nicht entgangen. Sie ahnte, was das hieß. In ihrem Hals bildete sich ein dicker Kloß, und ihre Sicht begann zu verschwimmen. Auch Claas musste es gesehen haben, denn er zog scharf die Luft ein und verließ mit finsterer Miene das Zimmer.
»Ich werde ihm jetzt das Sakrament der Letzten Ölung erteilen und bitte euch, mich mit
Weitere Kostenlose Bücher