Rolf Torring 079 - Doktor Gallas Spinnen
sondern auch mit den Augen verfolgen konnte, „die Spinne kriecht jetzt langsam am Körper hinauf. Wenn sie in die Nähe des bloßen Halses kommt, wirken die Hautstrahlen und die Wärme. Sie springt vor, und die giftigen Nadeln graben sich in Ihre Haut ein. Da, sie beginnt schon zu kriechen."
Schaudernd sah ich, wie die Spinne ihre stakigen Beine vorsetzte. Der Doktor war ein Genie. Die Spinne bewegte die Beine so natürlich, daß man kaum sehen konnte, daß sie künstlich hergestellt war. Langsam kroch sie am Körper nach dem Halse zu. Sie überschritt den alten Zaubergürtel, den Rolf trug, und war schon auf der Tropenanzugsbluse.
Rolf hatte mit Mühe den Kopf erhoben und starrte das Ungeheuer an. Ich sah, daß er mit aller Kraft versuchte aufzuspringen, um das Todeswerkzeug hinabzuschleudern.
Aber er war machtlos. Das Gift, das die kleinen Spinnen uns injiziert hatten, wirkte so eigenartig, daß wir uns wohl mühsam und ganz langsam bewegen, aber keine Kraft aufwenden konnten.
Jetzt war die Spinne dicht an dem Punkt, an dem Rolfs Bluse auseinander geschlagen war und den bloßen Hals freigab.
Da sagte der Doktor:
„Es ist nur ein kurzer Schmerz, Herr Torring. Dann sind Sie völlig gelähmt und spüren keine Schmerzen mehr. Aber Sie hören alles, was um Sie her vorgeht. Da, jetzt wird sie springen!"
Die Spinne hatte das erste Beinpaar auf die umgeklappten Hemdstreifen gesetzt. Sie — sprang vor. Rolfs Kopf sank zurück. Seine Glieder streckten sich aus.
„Sehen Sie, jetzt fühlt er schon keinen Schmerz mehr," sagte der Doktor zu mir. „Nun kommen Sie an die Reihe! Es ist Zeit, sonst verliert sich die Wirkung des Giftes, das Ihnen die kleinen Spinnen eingespritzt haben."
Er packte meinen rechten Arm und wollte mich emporziehen. Ich merkte in diesem Augenblick, daß er selbst schon sehr schwach war. Da nahm ich meine ganze Energie zusammen. Ich wollte ihm unter keinen Umständen gehorchen, mich nicht wie ein Opferlamm zur Schlachtbank führen lassen.
Ich brachte es fertig sitzenzubleiben, ja, mich noch weiter zurückzulehnen.
„Oh, oh," rief der Doktor, „da muß ich mich ja beeilen. Sie scheinen schon etwas Kraft wiederzugewinnen. Dann muß ich Sie im Sitzen von der zweiten Spinne stechen lassen."
Er wandte sich ab und ging auf den zweiten Kasten zu, nahm die Spinne heraus und kam zurück. Jetzt war auch ich verloren, wenn Rettung nicht in der letzten Sekunde kam.
Meine Glieder konnte ich noch nicht wieder bewegen. Doktor Galla mußte also sein Vorhaben glücken. Höchstens drei Schritte war der Doktor noch von mir entfernt. Wie gebannt starrte ich auf die Spinne in seiner Hand, die mir den Tod bringen sollte.
Da knickte er ein und kam auf die Knie zu liegen. Seine Hand preßte er in die Seite. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust.
„Dieser Teufel," hauchte er, „das Gift wirkt schon. Ich muß sterben. Nur durch Sie habe ich mich verraten! Nein, es muß noch gelingen!"
Mit völlig verzerrtem Gesicht richtete er sich wieder auf. Er taumelte hin und her. Ich hoffte schon, daß er ein zweites Mal zusammenbrechen würde. Aber mit einer Kraft, die nur dem Todeskampf oder seiner Geistesgestörtheit entspringen konnte, riß er sich zusammen.
Jetzt stand er vor mir und streckte langsam den zitternden Arm mit der Spinne aus. Ich starrte gebannt auf das bunte Tier, das so entsetzlich naturgetreu gearbeitet war.
Als die Spinne nur noch wenige Zentimeter von meinem Halse entfernt war sprang eine Gestalt von der Seite her auf den Doktor zu. Es gab einen dumpfen Krach. Doktor Galla flog mit seiner Todesspinne zur Seite.
„Ich danke dir, Pongo," sagte ich schwach, „das war Hilfe im letzten Augenblick!"
Rolf, Professor Cambrian und der junge Woodford wurden durch einen Tropfen des Gegengiftes schnell wieder gesund.
Wir blieben kurze Zeit in der heiligen Stadt Benares, um uns ihre Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Dann fuhren wir weiter.
Nach Allahabad ging es. Da. erlebten wir wieder ein Abenteuer mit einem Tier, das sonst harmlos und überall gern gesehen ist. Das Abenteuer habe ich geschildert in
Band 80 :
„Der tolle Gecko",
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