Rolf Torring 099 - Das Piratenschiff
in weitem Bogen um das Schiff herum. Dabei verbarg ich mein Gesicht möglichst.
Das Schiff legte dicht neben dem kleinen Dampfer an. Die Chinesen gingen, als sie die Haltetaue befestigt hatten, sofort an Land.
Die Schornsteine, die das Schiff im Hafen von Singapore noch gehabt hatte, waren entfernt; das gab dem Schiff ein anderes Aussehen.
Der Weiße hatte ein paar Befehle erteilt und war unter Deck verschwunden. Nur der große Chinese stand noch auf der Brücke. Der Augenblick schien nur günstig, die Piraten anzugreifen. Ich hoffte, daß der Leutnant das auch fühlen und durch einen Pistolenschuß das Angriffssignal geben würde. Da trat etwas ein, an das ich im Augenblick nicht gedacht hatte.
An der Einfahrt tauchte der Polizeikutter auf, der sich dem Piratenschiff schnell näherte. Ich wandte das Rennboot und ließ es auf das Schiff zuschießen. So schnell wie möglich mußte ich versuchen, unsere Freunde zu retten.
Der große Chinese hatte den Polizeikutter sofort erkannt und stieß einen Warnungsruf aus. Er nahm eine Nilpferdpeitsche in die Hand und sprang nach dem Bug des Schiffes. Sollten sich die Gefangenen hier befinden?
Der Chinese wollte eben durch eine Luke unter Deck verschwinden, als Pongo hinter einer großen Taurolle auftauchte und den Gegner ansprang. Der machte nur ein paar verzweifelte Bewegungen, dann warf ihn Pongo wie einen Spielball durch die Luft und verschwand selbst durch die Luke.
Durch den Warnruf auf die Gefahr aufmerksam gemacht, rannten die Chinesen in wilder Flucht zum Schiffe zurück. Aus der hinteren Luke sprangen andere an Deck. Alle waren bewaffnet; sie würden sich nicht so leicht ergeben.
Vom Polizeikutter und von unserer Jacht begannen die Maschinengewehre zu knattern. Da zogen es die Chinesen vor, sich zu ergeben.
Als Leutnant Wellwood mit seinen Leuten das Deck des Polizeischiffes betrat, tauchte Pongo aus der vorderen Luke auf und schleppte Rolf und die beiden Malgrens hinter sich her. Alle drei hatten noch die indischen Kleider an. Leutnant Wellwood, der davon nichts wußte, wollte sie zuerst gefangen nehmen, da er sie für Seeräuber hielt. Lachend klärte Rolf selbst den Irrtum auf.
»Lu Hang muß uns sofort vom Krankenhaus aus gefolgt sein," berichtete Rolf. "In einer dunklen Seitenstraße wurden wir niedergeschlagen und erwachten erst hier auf dem Schiff wieder. Hoffentlich hast du uns unsere Anzüge mitgebracht, Hans!"
Anzüge, Gepäck und Waffen befanden sich auf Malgrens Jacht. Ich sagte es Rolf.
„Das ist gut," meinte er. „Wir müssen gleich weiter. Ich habe auf dem Schiff etwas erfahren, was wir sofort untersuchen wollen. Ist denn der weiße Anführer nicht unter den Gefangenen? Ich sehe ihn nicht. Sollte er entflohen sein?"
Auch bei nochmaliger Untersuchung des Schiffes fanden wir den Seeräuberhauptmann nicht. Und ich hatte doch deutlich gesehen, wie er unter Deck verschwand. Wo mochte er sein?
Als wir an Land gegangen waren, erzählte ich Rolf, aus welchem Grunde ich Chinesenkleidung trug.
Er war sehr froh, daß Lu Hang sich selbst gerichtet hatte.
„Hast du erfahren, was ,Gs' bedeutet, Rolf?" fragte ich meinen Freund.
„Ja, Hans. Gaston Solbre — so heißt der Hauptmann der Seeräuber. Was tun die Polizisten auf Malgrens Jacht? Sie tragen einen Toten aus der Kajüte."
„Es ist Lu Hang, Rolf. Er wird auf das Piratenschiff gebracht. Die Polizisten wollen ihn mit nach Singapore nehmen."
Unter den gefangenen Seeräubern war ein Chinesenboy, der dringend nach Rolf rief. Mein Freund lachte, ging zu ihm hin und zerschnitt seine Fesseln. Der Junge vergoß Tränen der Freude und flüsterte Rolf etwas zu.
„Achtung! Achtung!" rief Rolf. „Schnell hinunter von dem Kahn! Er fliegt gleich in die Luft! Deckung nehmen!"
Schnell war der Befehl ausgeführt. Der Polizeikutter und unsere Jacht flüchteten auf das offene Meer hinaus. Wer auf dem Lande war, suchte hinter Felsblöcken Deckung.
Wo war Lu Hangs Rennboot? Da sahen wir es. Pfeilgeschwind schoß es über den See und durch die Einfahrt. Im Boot stand aufrecht Gaston Solbre, der Seeräuberkapitän.
Ich wollte aufspringen, aber Rolf zog mich mit einem Ruck zurück. Im gleichen Augenblick ertönte eine heftige Explosion: das Seeräuberschiff flog in die Luft.
Sekunden später ging ein Regen von Holzstückchen und Schiffsteilen auf den See und seine
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