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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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Bibliothek des menschlichen Genoms. Darin zu blättern, welches Abenteuer! Ich möchte fast sagen, Gott war Bibliothekar. Zumindest ein leidenschaftlicher Bücherwurm!«
    Wir betraten einen Nebenraum im Keller. Gala schloss eine Stahltür auf und zeigte in einen von Neonlampen erhellten, sich in einer langen Kurve abwärts windenden Gang mit roh behauenen Felswänden. »Sollte es brennen bei uns im Haus, kann man die Bücher durch diesen Gang in Sicherheit bringen«, sagte er. »Er führt hinunter durch den Fels bis zum Ufer der Aare. Direkt beim Wehr übrigens.«
    Dann saßen wir in Galas Büro. Man hatte durch seine Fenster einen schönen Blick auf die Dächer der Altstadt. Pulverschnee lag auf den Schindeln und glitzerte in der Sonne. Bern sah aus wie ein Weihnachtskalender mit den ersten zwei geöffneten Türchen. »Sie wohnen nicht weit von hier. Ganz nahe beim Münsterplatz. In der Herrengasse Nummer 2, vierter Stock. Hier ist Ihr Schlüssel. Wenn Sie Hilfe brauchen, kommen Sie einfach vorbei oder rufen Sie an.«
    Ich nahm einen überdimensionalen Schlüssel entgegen, bedanke mich und ging. Kurze Zeit später betrat ich ein imposantes Treppenhaus und ging die ausladende Treppe aus Eichenholz empor. Sie knarrte übertrieben laut wie in einem schlechten Hörspiel. Dann schloss ich eine Tür am Ende eines schmalen Ganges auf.
    Ich machte Licht. Altes Parkett schimmerte wie goldenes Eis, auf dem eben noch Elfen Schlittschuh gelaufen waren. Auf der Barockkommode neben dem Spiegel standen zwei Flaschen Schweizer Rotwein. Ein Zettel daneben. Darauf stand: »Meine Wohnung ist kein Museum. Fühlen Sie sich ganz frei hier. Die Espressomaschine geht. Der Wasserbehälter ist frisch gefüllt. Kaffee ist im Schrank über dem Spülstein.«
    Es gab drei Zimmer, deren Fenster auf die Herrengasse gingen. Wenn man sich hinauslehnte, sah man den Turm des Münsters. Das mittlere Zimmer war besonders schön. Die Wände zu den Nachbarzimmern waren tiefe Schränke. Ich öffnete einige der Schranktüren und erblickte Gläser, frische Wäsche, Manuskripte. Das Mobiliar, die wenigen, hervorragenden Bilder, alles Originale, die Stehlampe, die moderne Musikanlage, alles verriet einen verfeinerten Geschmack, der das Museale genauso vermeidet wie die Anbiederung ans vermeintlich Moderne. Ich fühlte mich jetzt schon heimisch, als hätte ich bereits Jahre hier gewohnt.
    Ich ging noch einmal in die Stadt, kaufte ein, ein Maishuhn, Gemüse, Kartoffeln. Viel zu viel für eine Person. Hoffte ich, dass Dale überraschend kommen würde? Dann kochte ich auf dem Gasherd der kleinen Küche, trank Wein dabei, deckte für zwei Personen, legte eine CD auf, Cooljazz aus den Fünfzigerjahren, Lenni Tristano und Freunde. Später aß ich mit langsamen Bewegungen, kaute bedächtig, trank in kleineren Schlucken als sonst, schenkte auch das Glas meiner unsichtbaren Tischpartnerin voll. »Gudrun«, sagte ich einmal laut, »ich danke dir für deine Gastfreundschaft. Wenn ich Dale gefunden habe, wird sie deinen Platz einnehmen, ohne dass dich das eifersüchtig machen muss.«
    Ich wusch ab und räumte auf, stellte das Geschirr in die Schränke und ging zu Bett. Es stand im Nebenzimmer hinter einem Wandschirm, direkt neben dem Schreibtisch mit dem PC darauf, und war schmal und spartanisch gefedert. Ich schlief sofort, tief und fest, traumlos. Als ich wieder erwachte, war es dunkel. Ich lauschte den Geräuschen der Wohnung, dem Knacken im Holz, dem Ticken der Uhren, dem sonoren Brummen des Eisschrankes, dem Zischen, das der Boiler von sich gab, wenn er nachheizte. Plötzlich glaubte ich nebenan Schritte zu hören. Ich stand auf, schlüpfte in meine Kleider und ging ins Wohnzimmer. Natürlich war niemand da. Vielleicht war das Haus hellhörig, und ich hatte die Schritte aus der Wohnung darunter gehört. Ich machte Licht. Die Türen eines der Wandschränke stand einen Spalt offen. Drinnen konnte sich ohne weiteres jemand verbergen. Ich öffnete die Tür und fuhr zurück. Eine Gestalt starrte mich an. Sie war grau und unscheinbar, doch ging eine bezwingende Wirkung von ihr aus. Ein Götze, ungefähr dreißig Zentimeter groß. Vierarmig. Das Gesicht halb weiblich, halb männlich. Die Hauptwirkung schien von dem dritten Auge auszugehen, das sich mitten auf der Stirn des Götzen befand. Es war senkrecht angeordnet, halb offen und erinnerte an eine Vulva. Ich kannte mich nicht allzu gut aus in der Mythologie des Ostens. Doch war mir klar, dass dies ein Gott war, der lauter

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