Rom kann sehr heiss sein
vermutlich befreundete Frauen befanden, kein Grund, beunruhigt zu sein, und dennoch beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Vielleicht ein Reflex der Tatsache, dass ich hier war, um Licht in das Dunkel eines verwirrenden und vielleicht bösen Geschehens zu bringen. Das spurlose Verschwinden einer jungen Frau, die zufällig meine Geliebte war. Ein solches Ereignis wirft seinen Schatten auf alles, selbst auf die banalsten Dinge. Eine klassische Wechselwirkung von Absicht und Empfinden. Wenn man das Böse sucht, verfinstert sich der Blick des Suchers.
Böiger Wind kam auf. Der Regen war in dicke Schneeflocken übergegangen, die jetzt gegen die Scheiben klatschten und aussahen wie die zerquetschten Insekten auf der Windschutzscheibe eines Autos. Plötzlich hörte ich eilige Schritte, Schritte, die ein Ziel verrieten. Tief dort unten auf dem Straßenpflaster stampfen Absätze eine unerwartete Botschaft in die Schicht von knirschendem Schnee, die sich innerhalb von Minuten nur gebildet hatte: »Ich habe etwas vor, das wichtig ist. Es duldet keinen Aufschub.«
Ich hielt mich an dem niedrigen Eisengitter der Fensterbank, das das Herunterfallen von Blumenkästen verhindern soll, fest und beugte mich weit hinaus. Ein Mantel kam die Straße herauf. Es sah wirklich so aus, denn die Person hatte ihn sich über den Kopf gezogen, entweder um nicht nass oder aber um nicht erkannt zu werden. Unter dem beleuchteten Weihnachtsstern blieb sie stehen, direkt vor der Eingangstür des Hauses gegenüber. Der Mantel war aus grünem Lodenstoff. Dann ging die Tür auf, und die Person verschwand im Inneren des Hauses. Ich wartete gebannt. Kein Flurlicht ging an. Auch die Wohnung im dritten Stock blieb dunkel.
Der Mantel hatte keinen Schlüssel benutzt. Jemand im Hause musste den Türöffner für ihn bedient haben. Ich zog mich zurück, schloss das Fenster, wollte mich gerade abwenden, als ich drüben einen Lichtpunkt gewahrte. Wie ein Glühwürmchen tanzte er hinter den Scheiben jener Wohnung, in der die Dame im schwarzen Kleid noch vor kurzem so fleißig gearbeitet hatte. Ich fragte mich, ob man mich von drüben sehen konnte. Zwar hatte ich alle Lampen ausgemacht, aber ich war mir nicht sicher, ob meine Silhouette nicht doch gegen die von der Weihnachtsbeleuchtung der Gasse schwach erhellten Wände erkennbar war.
Ich stellte mich so, dass ich immer noch einen großen Teil der gegenüberliegenden Fassade beobachten konnte, ohne jedoch selbst gesehen werden zu können. Das Glühwürmchen dort drüben flog einen kleinen Kreis und leuchtete auf. Offensichtlich rauchte da jemand, sog an der Zigarette. Das Licht der Glut war stark genug, dass ich für einen kurzen Augenblick etwas zu erkennen meinte. Die Frau im roten Kleid lag am Boden, die Glieder verrenkt, der Kopf seitlich verdreht, der Mund wie zu einem Schrei geöffnet, um sie eine schwarze Lache. Dann war alles stockfinster.
Jeder kennt diese Lähmung, die einen in Momenten höchster Erregung befällt. Dies Gefühl der Erstarrung, gepaart mit dem Wunsch, wegzurennen. Man gleicht einer Tonform, in die ein Bildhauer flüssiges Metall gegossen hat. Es härtet binnen Sekunden aus. So fühlte ich mich jetzt. Ich glaubte, in der Raucherin Dale erkannt zu haben!
Ich machte eine ungeschickte Bewegung. Gleißende Helligkeit überflutete den Raum. Ich war auf den Fußschalter der Halogenlampe getreten. Jeder musste mich jetzt von drüben sehen können! Ich trat erneut auf den Schalter. Die Finsternis kam doppelt zurück, da ich geblendet war.
Immerhin hatte mich dieser neuerliche Schock von meiner Lähmung befreit. Ich schnappte mir den Hausschlüssel und eilte die Treppe hinab.
Auf der Straße lag eine dünne Schneeschicht, auf der sich dunkel eine Fußspur abhob. Die Person musste kleine Füße haben, Schuhgröße 36, wie ich schätzte. Die Spur führte zur Haustür, aber nicht wieder von ihr weg. Also war die Person, die ich den Mantel getauft hatte, noch nicht gegangen. Ich versuchte, die Klingelschilder zu lesen. Es war zu dunkel. Ich drückte gegen die Haustür. Sie gab nach und ließ mich ein in den Schlund eines Treppenhauses, in dem es muffig roch und irgendwie auch elegant. Ein leichtes, offenbar edles Parfüm lag wie ein zarter Schleier über dem Geruch von Putzmitteln und feuchtem Stein, dem typischen Grabkammergeruch eines sehr alten Hauses. Ein rotes Auge starrte mich an: der Flurlichtschalter. Ich drückte darauf, hörte die Schaltuhr anspringen. Wie ein Zeitzünder das Ticken des
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