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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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kamen zu dem einen oder anderen Kranken, eilig huschend, verstohlen, fast schon heimlich. Sie setzten sich für eine Minute zu ihnen ans Bett, legten vielleicht auch noch ein ungeschickt in Papier gewickeltes Päckchen auf die Decke, bescheiden, sich eher noch dafür entschuldigend. Und dann – obwohl ich ihr Geflüster nicht hören konnte, und selbst wenn ich es gehört hätte, doch nicht hätte verstehen können – schienen sie nachzufragen: wie steht es um die Genesung, was gibt es Neues; zu berichten: draußen hingegen, da stehen die Dinge so und so; zu übermitteln: der und der lässt grüßen und fragen, wie das werte Befinden ist; zu versichern: auch die Grüße des Kranken werden bestellt, aber sicher; plötzlich zu merken: na, jetzt ist die Zeit abgelaufen, worauf sie ihm auf Arme und Schultern klopften und zu sagen schienen: keine Sorge, wir kommen bald wieder, und damit huschten sie schon wieder hinaus, hastig, meist auch zufrieden – doch sonst ohne irgendein anderes Ergebnis, ohne einen Vorteil oder greifbaren Nutzen, wie mir schien, und so musste ich denn annehmen, dass sie offenbar allein deswegen gekommen waren, allein wegen dieser paar Worte, wegen nichts anderem, als um diesen ihren Kranken zu sehen. Und dazu zeigte, selbst wenn ich es nicht gewusst hätte, auch ihre Hast deutlich: Offenbar taten sie da etwas Verbotenes, das überhaupt nur dank Pjetkas Nachsicht, nun, und wohl auch unter der Bedingung, dass es so schnell ging, ausführbar war. Ja, ich habe sogar den Verdacht und möchte nach längerer Erfahrung auch rundheraus zu behaupten wagen, dass das Risiko an sich, diese Eigenmächtigkeit, um nicht zu sagen dieser Trotz, irgendwie zu dem Unterfangen dazugehörten – so jedenfalls las ich es auf diesen eilig entschwindenden Gesichtern, aus ihrem schwer bestimmbaren, aber irgendwie von gelungenem Ungehorsam aufgeheiterten Ausdruck, als hätte damit – so kam es mir vor – irgendetwas ein bisschen verändert, aufgebrochen, verfälscht werden können, eine bestimmte Ordnung, die Eintönigkeit des Alltags, ein bisschen vielleicht sogar die Natur selbst, so dachte ich es mir auf jeden Fall. Die seltsamsten Männer aber sah ich am Bett eines Kranken, der ein Stück von mir entfernt, an der gegenüberliegenden Trennwand, lag. Erst am Vormittag hatte ihn Pjetka auf der Schulter hereingebracht und sich danach ziemlich eifrig um ihn bemüht. Ich sah, dass es ein schwerer Fall sein musste, und ich hörte, der Kranke sei Russe. Am Abend dann füllten die Besucher das halbe Zimmer. Ich sah viele R, aber auch andere Buchstaben, Fellmützen und merkwürdige, wattierte Hosen. Männer, die auf der einen Seite Haare, auf der anderen dagegen einen völlig kahlen Kopf hatten. Andere mit gewöhnlichem Haar, das nur in der Mitte, von der Stirn bis in den Nacken von einer langen Bahn, einem Kahlschlag, genau in der Breite einer Haarschneidemaschine, durchzogen war. Jacken mit dem üblichen Flicken, aber auch mit zwei gekreuzten roten Pinselstrichen, solcherart, wie man etwa bei Geschriebenem etwas Unnötiges streicht, einen Buchstaben, eine Zahl, ein Zeichen. Auf anderen Rücken ein weithin sichtbarer, großer roter Kreis und darin ein großer roter Punkt, herausfordernd, verführerisch, in der Art einer Zielscheibe gleichsam signalisierend: Hierauf ist zu schießen, im Fall der Fälle. Da standen sie, trappelten hin und her, berieten sich leise, einer beugte sich herunter, um das Kissen des Kranken zurechtzurücken, ein anderer bemühte sich, wie mir schien, ein Wort, einen Blick von ihm zu erhaschen, und auf einmal sah ich etwas Gelbes zwischen ihnen aufblitzen, irgendwoher kam ein Messer zum Vorschein und mit Pjetkas Hilfe auch ein Metallbecher, dann ein dünnes Plätschern – und wenn ich meinen Augen nicht getraut hatte, so konnte jetzt meine Nase einwandfrei bezeugen, dass das gelbe Ding, das ich gerade gesehen hatte, tatsächlich und unbestreitbar eine Zitrone war. Dann öffnete sich die Tür erneut, und ich war ganz verblüfft, denn da kam der Arzt hereingeeilt, was es noch nie gegeben hatte zu einem so ungewohnten Zeitpunkt. Sie haben ihm sofort Platz gemacht, er hat sich über den Kranken gebeugt und ihn ein bisschen untersucht, ein bisschen an ihm herumgetastet, nur kurz, worauf er dann gleich wieder gegangen ist, und zwar mit einer recht mürrischen, strengen, um nicht zu sagen bissigen Miene, ohne auch nur ein Wort an irgendjemanden zu richten, ohne auch nur jemanden eines Blickes zu würdigen,

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