Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
Vom Netzwerk:
ja, er schien auch die auf ihn gerichteten Blicke eher meiden zu wollen – mir auf jeden Fall kam das so vor. Bald darauf sah ich, wie die Besucher auf merkwürdige Art still wurden. Der eine oder andere löste sich noch aus der Gruppe, trat ans Bett, beugte sich darüber – dann begannen sie zu gehen, allein, zu zweit, so wie sie gekommen waren. Aber jetzt ein bisschen betretener, ein bisschen gebrochener, ein bisschen müder, und irgendwie hatte auch ich in diesem Augenblick Mitleid mit ihnen, denn ich musste ja sehen: Sie hatten eine wenn auch vielleicht noch so grundlos gehegte Hoffnung, eine wenn auch noch so heimlich genährte Zuversicht endgültig verloren. Etwas später hat Pjetka die Leiche sehr vorsichtig auf die Schulter genommen und sie irgendwohin weggebracht.
    Und schließlich war da auch noch das Beispiel meines Helfers. Ich hatte ihn im Waschraum getroffen – denn, nun ja, allmählich konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich mich woanders waschen könnte als an dem auf- und zudrehbaren Wasserhahn in dem sich am Ende des Flurs zur Linken öffnenden Waschraum, das aber auch hier nicht wegen der Vorschrift, sondern einfach wegen der Schicklichkeit, wie mir allmählich klar wurde; ja, mit der Zeit merkte ich sogar, wie ich es beinahe schon übelnahm, dass der Ort ungeheizt, das Wasser kalt war und ein Handtuch fehlte. Dort befand sich auch die rote, tragbare, einem offenen Schrank ähnelnde Örtlichkeit, deren stets sauberer Behälter weiß Gott von wem gepflegt, ausgetauscht, gereinigt wurde. Bei einer solchen Gelegenheit, als ich gerade beim Gehen war, betrat ein Mann den Raum. Ein schöner Mann, mit zurückgekämmtem, trotzdem ungebärdig in die Stirn fallendem, glattem schwarzem Haar und dem da und dort etwas grünlich schattierten Gesicht schwarzhaariger Menschen; in Anbetracht seines schon vollen Mannesalters, seines gepflegten Äußeren und des schneeweißen Mantels hätte ich ihn für einen Arzt gehalten, wenn die Aufschrift auf seiner Armbinde mich nicht darüber belehrt hätte, dass er nur Pfleger war, während das T in seinem roten Dreieck ihn als Tschechen auswies. Er stutzte und schien von meinem Anblick etwas überrascht, ja sogar ein bisschen betroffen, nach der Art, wie er mein Gesicht, meinen aus dem Hemd herausragenden Hals, mein Brustbein und meine Beine betrachtete. Er fragte auch gleich etwas, und ich antwortete, wie ich es aus den polnischen Gesprächen aufgeschnappt hatte: «Nje rosumjem.» Daraufhin erkundigte er sich auf Deutsch, wer ich sei, woher ich komme. Ich sagte «Ungar» , hier aus Saal sechs. Worauf er, zur Verdeutlichung auch noch seinen Zeigefinger benutzend, sagte: «Du: warten hier. Ik: wek . Ein Moment zurück. Verstehn?» Ich sagte: «Verstehen.» Er ging weg, kam zurück, und auf einmal hatte ich ein viertel Brot und eine kleine, hübsche Konservendose mit schon hochgebogenem Deckel in der Hand, eine Dose mit noch unberührtem, haschiertem rosarotem Fleisch. Ich blickte auf, um mich zu bedanken – doch da konnte ich nur noch sehen, wie die Tür hinter ihm zuging. Als ich dann wieder im Zimmer war und versuchte, Pjetka von dem Mann zu berichten, mit ein paar Worten auch sein Äußeres zu beschreiben, wusste er sofort, dass es der Pfleger vom Zimmer neben uns, von Saal sieben, sein musste. Er hat auch seinen Namen genannt. Ich verstand Ba-usch, obgleich er wohl eher Bohusch gesagt haben musste, wie ich mir dann überlegte. So habe ich es später auch von meinem Nachbarn gehört – denn zwischendurch lösten sich die Kranken in unserem Zimmer ab, alte gingen, neue kamen. Auch in das Bett über mir brachte Pjetka, nachdem er noch am ersten Nachmittag jemanden hinausgetragen hatte, bald einen neuen, mir im Alter und – wie ich später erfuhr – auch rassenmäßig entsprechenden, aber Polnisch sprechenden Jungen, dessen Namen ich als Ku-halski oder Ku-harski verstand, wenn Pjetka oder Zbischek ihn nannten, wobei sie ihn immer so aussprachen, dass das «harski» herausgehoben, betont wurde; hin und wieder scherzten sie mit ihm, und vielleicht neckten, ja, ärgerten sie ihn auch, denn er war oft wütend, wie zumindest sein schnelles Mundwerk deutlich machte, der gereizte Tonfall seiner schon voller werdenden Stimme und sein unablässiges Herumzappeln, bei dem dann durch die Querlatten immer ein Regen von Strohhalmen auf mein Gesicht herunterkam – das alles, wie ich sehen konnte, zum größten Vergnügen eines jeden Polen im Zimmer. Neben mich, in das

Weitere Kostenlose Bücher