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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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ein anderer Arzt, von niedrigerem Rang, die fällige Behandlung an mir vornimmt, bescheiden irgendwo am Rand, in einiger Entfernung von dem Operationstisch in der Mitte. Mit einem von ihnen, einem kleineren, grauhaarigen Mann mit Raubvogelnase, der gleichfalls ein nicht markiertes rotes Dreieck und eine wenn auch nicht zwei- oder dreistellige, aber immer noch vornehme Tausender-Nummer trug, habe ich dann auch Bekanntschaft, ja Freundschaft geschlossen. Er erwähnte – was übrigens später auch Pjetka bestätigte –, dass unser Arzt schon seit zwölf Jahren im Konzentrationslager war. «Zwölf Jahre im Lager» , sagte er leise, nickend, mit einer Miene, die gleichsam einer seltenen, nicht ganz wahrscheinlichen und – seiner Ansicht nach jedenfalls, wie mir schien – geradezu unvorstellbaren Leistung galt. Ich fragte ihn: «Und Sie?» – «Oh , ich» , sagte er und veränderte sofort das Gesicht, «seit sechs Jahren bloß» , er winkte ab, als wäre das nichts, eine Kleinigkeit, nicht der Rede wert. Doch eigentlich war ich derjenige, der ausgefragt wurde; er wollte mein Alter wissen und wie und warum ich hier gelandet sei, so weit weg von zu Hause, damit begann unser Meinungsaustausch. «Hast du irgendetwas gemacht?» ,fragte er, irgendetwas Schlimmes vielleicht, und ich sagte: nein, «nichts» , rein gar nichts. Warum ich dann trotzdem hier sei, wollte er wissen, und ich sagte, aus dem gleichen einfachen Grund wie andere meiner Rasse auch. Ja, aber – so bohrte er weiter –, warum man mich denn «verhaftet» habe, und ich erzählte ihm kurz, so gut ich konnte, von jenem Morgen, von dem Autobus, dem Zollhaus und der Gendarmerie später. «Ohne dass deine Eltern …» ,also ohne dass sie etwas davon wussten, und ich sagte: «ohne» , versteht sich. Er schien ganz verdutzt, als hätte er so etwas noch nie gehört, und ich dachte bei mir: Na, der hat nach sechs Jahren anscheinend auch keine Ahnung mehr von der Welt. Er gab die Neuigkeit dann auch gleich an den Arzt weiter, der neben ihm beschäftigt war, und dieser wiederum an die anderen Ärzte, die Pfleger und die Kranken, die nach etwas Besserem aussahen. Schließlich ist es so weit gekommen, dass mich von allen Seiten Menschen anschauten, die mit dem Kopf schüttelten und dabei eine besondere Art von Gefühl im Gesicht hatten, was mir ein wenig peinlich war, denn wie mir schien, bemitleideten sie mich. Es fehlte nicht viel, dass ich ihnen gesagt hätte: aber keine Ursache, wenigstens zur Zeit nicht – aber ich habe dann doch nichts gesagt, irgendetwas hielt mich zurück, ich brachte es gewissermaßen nicht übers Herz, sagen wir es einmal so; denn wie ich merkte, tat ihnen dieses Gefühl gut, es bereitete ihnen eine gewisse Freude, schien mir. Ja, später, denn es widerfuhr mir noch ein-, zweimal, dass man mich so ausfragte, gewann ich den Eindruck – vielleicht fälschlicherweise, obwohl ich das nicht glaube –, sie suchten geradezu eine Gelegenheit, eine Möglichkeit, einen Vorwand für dieses Gefühl, aus irgendeinem Grund, irgendeinem Bedürfnis, gewissermaßen um irgendetwas zu beweisen, ihre Methode vielleicht, oder vielleicht, wer weiß, dass sie zu solchen Gefühlen überhaupt noch fähig waren – mir jedenfalls kam es irgendwie so vor. Hinterher sahen sie sich dann jedes Mal auf eine Art und Weise an, dass ich erschrocken um mich blickte, ob nicht Unberufene uns beobachteten; aber ich sah überall nur ebenso verdüsterte Stirnen, verengte Augen und zusammengepresste Lippen – so als ob ihnen etwas Bestimmtes in den Sinn gekommen wäre und sich in ihren Augen bestätigt hätte, und ich sagte mir, dass sie vielleicht an den Grund dachten, aus dem sie hier waren.
    Dann zum Beispiel die Besucher: Auch die sah ich mir an und versuchte herauszufinden, welcher Wind, welche Absicht sie wohl hierherführte. Vor allem fiel mir auf, dass sie meistens gegen Abend, im Allgemeinen immer zur gleichen Zeit kamen. Daraus habe ich dann geschlossen, dass es auch hier in Buchenwald, im großen Lager, offenbar eine Stunde gab wie in Zeitz, wahrscheinlich auch hier in der Zeit zwischen der Rückkehr der Kommandos und dem Abendappell. Zumeist kamen Leute mit dem Buchstaben P, es gab aber auch solche mit J, R, T, F, N, ja sogar No und wer weiß, was alles noch: Auf jeden Fall kann ich sagen, dass ich dank ihrer viel Wissenswertes erfahren, viel Neues gelernt habe, ja, ich habe eigentlich erst auf diese Art einen genaueren Einblick in die hiesigen Umstände gewonnen,

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