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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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erledigen hatte, und erst als er einmal mit Brot und Konservendose: Sachen, die offensichtlich von Bohusch stammten, ins Zimmer zurückkam, war ich einigermaßen überrascht – übrigens unvernünftigerweise, versteht sich, das musste ich zugeben. Wie er sagte, war auch er zufällig im Waschraum mit ihm zusammengetroffen, genauso wie ich. Und auch er sei von ihm angesprochen worden, genau wie ich, und auch der Rest habe sich ganz genauso abgespielt wie bei mir. Den Unterschied hatte es immerhin gegeben, dass er mit ihm sprechen konnte, und da habe sich herausgestellt, dass sie aus der gleichen Heimat stammten, worüber sich Bohusch sehr, sehr gefreut habe, was schließlich nur natürlich sei, so meinte er, und das sah auch ich ein, in der Tat. Das alles fand ich – wenn ich es mit Vernunft betrachtete – durchaus klar, verständlich und einsehbar, und ich hatte die gleiche Einstellung dazu, die offensichtlich auch er hatte, wie zumindest aus dem letzten kurzen Zusatz: «Sei mir nicht böse, dass ich dir deinen Mann weggenommen habe», hervorging; das heißt, dass nun also ihm zukäme, was bisher mir zugekommen war, und ich würde jetzt zuschauen dürfen, während er schmauste, so wie er vorher mir zugeschaut hatte. Umso mehr staunte ich, als kaum eine Minute später die Tür aufging und Bohusch hereingeeilt kam, und zwar geradewegs zu mir. Von da an galt sein Besuch immer uns beiden. Einmal brachte er zwei Portionen, einmal bloß eine – je nachdem, wozu es reichte, denke ich, wobei er in letzterem Fall nie vergaß, mit einer Handbewegung das brüderliche Teilen zu verfügen. Nach wie vor war er jedes Mal in Eile, nach wie vor vergeudete er keine Zeit mit Worten, seine Miene war nach wie vor stets geschäftig, manchmal besorgt, ja, hin und wieder wütend, fast schon erbost, so wie jemand, der nunmehr die Last einer doppelten Sorge hat, dem eine doppelte Verpflichtung auf den Schultern liegt, der aber nichts anderes tun kann, als das zu tragen, was ihm aufgebürdet ist – und ich dachte mir, der Grund dafür kann eigentlich nur sein, dass er selbst seine Freude daran findet, weil er das, wie es scheint, in einem gewissen Sinn nötig hat, es war seine Methode, um es so zu sagen; einen anderen Grund konnte ich, insbesondere in Anbetracht der Nachfrage nach einer so raren Ware und ihres entsprechenden Preises, in keiner Weise finden, wie immer ich es auch drehte, wendete, erwog. Das war der Augenblick, in dem ich, glaube ich, diese Menschen begriff, so im Großen und Ganzen zumindest. Denn wenn ich meine ganze Erfahrung zu Hilfe nahm, alle Zusammenhänge herstellte, ja, dann blieb kein Zweifel mehr, dann erkannte ich ihn, wenn er sich auch in einer anderen Form zeigte, letztlich war es ein und dasselbe Mittel: Eigensinn – freilich unbestreitbar eine recht ausgefeilte, die nach meinem bisherigen Wissen erfolgreichste, nun, und vor allem die für mich nützlichste Form von Eigensinn, ganz ohne Zweifel.
    Ich kann sagen, mit der Zeit gewöhnt man sich auch an Wunder. Allmählich konnte ich schon zu Fuß zur Behandlung gehen – falls der Arzt das am Morgen zufällig verfügte –, einfach so, barfuß, über das Hemd eine Decke gewickelt, und in der beißenden Luft entdeckte ich unter den vielen vertrauten Gerüchen einen neuen Hauch: den des aufkeimenden Frühlings, er musste es sein, wenn ich bedachte, dass die Zeit ja weiterging. Auf dem Rückweg sah ich flüchtig, wie aus der grauen Baracke jenseits unserer Drahthecke gerade so etwas, wie ein größerer, gummibereifter Anhänger, wohl der eines Lastwagens, von ein paar Sträflingen herausgezogen, herausgeschleppt wurde, und in der vollen Ladung erblickte ich gelbe Gliedmaßen, die erfroren herausragten, verdorrte Körperteile: Ich zog die Decke enger zusammen, um mich ja nicht irgendwie zu erkälten, und bemühte mich, so schnell wie möglich in mein warmes Zimmer zurückzuhumpeln, mir anstandshalber noch ein wenig die Füße zu putzen und dann schleunigst unter der Decke zu verschwinden, mich in mein Bett zu kuscheln. Da unterhielt ich mich dann ein bisschen mit meinem Nachbarn, solange er noch da war (denn nach einer gewissen Zeit ist er gegangen, «nach Hause» , und ein älterer polnischer Mann hat seinen Platz eingenommen), schaute mir ein bisschen an, was es zu sehen gab, hörte mir die aus dem Lautsprecher ertönenden Befehle an, und ich kann sagen: Allein schon mit ihrer Hilfe, nun, und dann mit Hilfe von etwas Phantasie konnte ich hier vom Bett aus einen

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