Roman unserer Kindheit
mit denen sie aber auf keinen Fall in einem Satz vorkommen wollen, sollen ihre Familien ohne festen Wohnsitz als Hausierer, Schrotthändler oder Schausteller von Ort zu Ort gezogen sein. Die hiesigen Behörden hätten sie halb zur Sesshaftigkeit verlockt, halb dazu gepresst. Briefträger Wischmann, der ihnen regelmäßig amtliche Schreiben an die Türen bringt, weil er weiß, dass sie ihre Briefkästen, wenn überhaupt, nur selten leeren, behauptet, dass die Huhlenhäusler weiterhin alles, wirklich alles irgendwie Essbare in jener jenischen Suppe versenken, die von morgens bis spätnachts in einer der Wohnungen auf dem Küchenofen brodelt. Abscheulich safrangelb sei dieser Sud, fast schmerzhaft grell für Augen, die ein derart beißendes Gelb nicht von klein auf gesehen hätten. Das Fleisch von Katzen, die die Huhlenhäusler Buben mit Drahtschlingen erwürgten, schwimme in der Brühe und Jungvögel mit milchig geronnenen Augen, welche die üblen Bengel, bevor den armen Piepmätzen die ersten Federn sprießen konnten, aus den Nestern raubten. Dazu gäben die Weiber der Sippe nocheine ungeheure Menge knochenweißer Knoblauchzehen, weil Knoblauch, mit dem die Italiener, die Jugoslawen und angeblich sogar die nach ihren Aromen süchtigen Zigeuner noch halbwegs maßvoll kochten, für die Jenischen etwas Unabdingbares, fast etwas Heiliges, auf jeden Fall das Gemüse aller Gemüse sei.
Als sie an der Hand ihrer Mutter in den bösen Hof gebogen war, hatte es unserer Schicken Sybille vor allem vor diesem dampfenden Topf gegraust. Aber der jenische Suppenduft im Treppenhaus bildete dann bloß den Vorgeruch, die milde Einstimmung auf das Reich des taubstummen Vogelzüchters. Durch die Wohnungstür des Kikki-Manns getreten, musste sich Frau Böhm sogleich, auch wenn es unhöflich wirken mochte, ihr Taschentüchlein gegen die Nase pressen. In weiblicher Voraussicht hatte sie es vor dem Weggehen verschwenderisch mit Kölnisch Wasser beträufelt. Schon aus den Spatzennestern oben auf dem Dachboden, zu denen sie ihre Töchter, als diese klein gewesen waren, nach dem Wäscheaufhängen hinaufgehoben hatte, roch es kalkig scharf, wenn man der nackten, federkielborstigen oder beflaumten, sofort mit orangen Kehlen bettelnden Brut zu nahe kam. Beim Kikki-Mann war dann kein Wegdrehen oder Abstandnehmen möglich. Der Schicken Sybille und ihrer Mutter stieß der Vogelgestank hinauf bis in die Stirn, und als sie versuchten, nur durch den Mund zu schnaufen, brannte es ihnen laugig am Gaumen und den Hals hinunter. Sybille wurde kotzschlecht davon, nach einer eiligen Rundschau zeigte sie auf die richtige Federfarbe, auf das Türkis, das ihre Schwester bestimmt entzücken würde, und rannte schnurstracks hinaus an die frische Luft.
Annabett Böhm jedoch hielt mit tränenden Augen stand.Käfig auf Käfig nahm sie sich vor. Die kleine Wohnung durchschreitend, begriff sie, wie radikal der Kikki-Mann seine Behausung nach dem Auszug seiner Frau den Erfordernissen der Vogelzucht unterworfen hatte. Offenbar schlief er auf der schwarzen Kunstledercouch, die in der Wohnküche hinter dem Tisch stand, denn aus dem ehemaligen Schlafzimmer war jegliches Mobiliar verschwunden. Die Käfige füllten alle vier Wände, sogar das Fenster und damit der Blick zum letzten, zum weißen Block hinüber war mit einem hohen und tiefen Drahtkasten, fast einer Art Voliere, zugestellt.
Wenn es zeitlich noch möglich gewesen wäre, hätte sich Annabett Böhm am liebsten aus den ausgewachsenen türkisen Flatterlingen das Elternpärchen des Geburtstagsvogels zusammengestellt und später aus dem Gelege das größte Ei herausgesucht. Aber dann entdeckte sie auf einer der lichtüberströmten Stangen des Fenstergeheges den offenbar perfekten Piepmatz, ein noch putzig kleines, aber robust und keck wirkendes Kerlchen. Der Kikki-Mann schnupperte ihm am Bürzel, um sicherzugehen, dass der Vogel wirklich ein Männchen war. Dann wurde er in einem eigenen, kaum kinderschuhkartongroßen Käfig separiert und angezahlt. Frau Böhm bekam eine Zigarette angeboten. Sie rauchte sie in tiefen, hastig aufeinanderfolgenden Zügen bis an den Filter auf, während der Kikki-Mann ihr, ebenso geschwind und glücklicherweise zwitschernd unverständlich, zunächst allerlei über seine Frau, die ihn im letzten Sommer Knall auf Fall verlassen hatte, und dann über das Liebesleben seiner Zöglinge erzählte.
Als Annabett Böhm nach draußen kam, standen vor dem Hauseingang gleich drei der Huhlenhäusler
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