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Schakale Gottes

Titel: Schakale Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bergius C.C.
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    Den 5. März 1910 sollte Tadeusz Minka nie mehr vergessen. Er war der Büttel eines kleinen Dorfes in der Nähe von Czenstochau und besaß eine jener hellblau gestrichenen polnischen Hütten, die ein tief herabreichendes Strohdach vor Wind und Wetter schützt. Allmorgendlich führte sein erster Weg ihn ins Freie, um das Federvieh aus dem Stall zu lassen. So auch an diesem für ihn so denkwürdigen Tag. Mit wuscheligem Haar schlüpfte er in seine Hose und schlurfte, die Träger noch hochziehend, in Pantinen auf den Hof hinaus.
    Über der hügeligen Landschaft spannte sich ein frühlingshafter Himmel. Der Schnee schmolz in Rinnsalen dahin. Die Strahlen der Sonne wärmten die Mauer der Hütte so stark, daß erste Fliegen auf ihr saßen und regungslos die Wärme genossen.
    Tadeusz reckte sich und tat einen tiefen Atemzug. Dann ging er über den Hof. Nach wenigen Schritten aber blieb er stehen. Ganz unvermittelt hatte ihn das Gefühl beschlichen, von jemandem beobachtet zu werden. Sollte ein Beamter der Ochrana, der russischen Geheimpolizei …? Er riß sich zusammen und drehte sich um. Zu sehen war niemand. Sein Instinkt sagte ihm jedoch, daß etwas anders war als sonst. Was war es nur?
    Noch während er sich dies fragte, entdeckte er an der Klinke der Haustür einen mit Glasperlen bestickten Seidenbeutel, wie ihn vornehme Damen in den Städten tragen. Der Beutel war prall gefüllt. Wie kam er an die Haustür? Und was enthielt er?
    Tadeusz Minka war skeptisch. Er hatte beim Militär gedient und das Vertrauen der Geheimpolizei gewonnen, deren vordringlichste Aufgabe es war, die Beamten der von Rußland verwalteten Bezirke Polens zu überwachen. Ihre Rechercheure waren nach gewissenhafter Überprüfung zu der Überzeugung gelangt, daß sich der ehemalige Unteroffizier niemals gegen die herrschenden politischen Verhältnisse auflehnen werde. Sie hatten jedoch nicht herausgefunden, daß er sich mit seinen inneren Nöten an die Muttergottes wandte, die ihm eine liebenswerte Vermittlerin zu Jesus Christus und dem Allmächtigen zu sein schien, vor dem ihm aus unerklärlichen Gründen graute.
    Der Seidenbeutel machte Tadeusz zu schaffen. Mißtrauisch ging er zur Tür und nahm ihn mit schiefem Gesicht von der Klinke. Dann lockerte er die Schnur, die ihn zusammenhielt und warf einen Blick auf seinen Inhalt. Heilige Maria! In allen Farben funkelten ihm Edelsteine in den unterschiedlichsten Größen entgegen. Was mochte das zu bedeuten haben? Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Waren das wirklich Edelsteine? Er hielt den Beutel so, daß die Sonne in ihn hineinfiel. Du lieber Himmel, das glitzerte ja wie gefrorener Schnee! Was würde seine Frau dazu sagen? Nur zögernd kehrte er in die Hütte zurück.
    Krystyna Minka streifte sich eben einen derben gelben Filzrock über. Unwillkürlich blickte sie ihrem Mann entgegen, sah den Seidenbeutel in seiner Hand und schaute ihn verwundert an.
    Da Reden nicht Tadeusz' Stärke war, schüttete er den Beutel kurzerhand über dem Küchentisch aus. Ein Haufen funkelnder Steine kullerte durcheinander: rubinrot, smaragdgrün, schneeweiß und azurblau.
    »Jessuss!« entfuhr es seiner Frau. Im nächsten Moment bekreuzigte sie sich, als wäre ihr der Leibhaftige begegnet. Ihr runzeliges Gesicht wurde fahl. »Mein Gott, Tadeusz, wo hast du das her?«
    Er deutete nach draußen. »Der Beutel hing an der Tür.«
    Sie faßte sich erschrocken an den Mund. »Das kann nichts Gutes bedeuten. Wir werden ins Unglück stürzen. Ja, das werden wir!« schrie sie plötzlich wie von Sinnen.
    Obgleich Tadeusz weit davon entfernt war, dies zu glauben, fragte er sich nun doch, weshalb man gerade ihm, dem Büttel des Dorfes, den Beutel an die Tür gehängt hatte. Wollte man seine Ehrlichkeit auf die Probe stellen? Dann würden die Steine allerdings nicht echt sein. Doch gleichgültig, ob es sich um Nachahmungen oder Edelsteine handelte, er mußte das Vorkommnis unverzüglich seiner vorgesetzten Dienststelle melden.
    »So ein Unglück!« jammerte Krystyna. »So ein Unglück!«
    Tadeusz rieb sich die Bartstoppeln. Er mußte seine Frau beruhigen. Schnell schob er die Steine in den Beutel zurück und sagte mit warmer Stimme: »Aber Krystynowna! Warum soll der Fund ein Unglück sein? Ich werde Meldung erstatten, und die Sache ist erledigt.«
    Ihre Augen wurden dunkel. Mit einer heftigen Bewegung griff sie nach ihrer Jacke. »Und wer wird dir glauben, daß du nicht ein paar Steinchen beiseite geschafft hast? Niemand!

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