Romana Extra Band 3
seine unterdrückten Flüche noch seine Versicherungen, er wolle ihr nichts tun, vermochten sie zu beruhigen. Erst nach geraumer Weile bemerkte er, dass er Italienisch sprach. „Beruhigen Sie sich“, wiederholte er langsam und deutlich auf Englisch. „Niemand will Ihnen etwas tun.“
Überrascht hob Maisy den Kopf und sah den Mann zum ersten Mal bewusst an. Er hatte blaue, von dichten dunklen Wimpern umkränzte Augen. Die ausgeprägten Wangenknochen, die Adlernase und das markante Kinn verliehen ihm das Aussehen eines römischen Adligen. Er war der Prototyp eines rassigen Südländers, wenn auch ungewöhnlich groß und stark.
Während sie sich aus seinem Griff zu befreien versuchte, stieg ihr der Duft von Aftershave in die Nase. Dabei hatte er sich offensichtlich seit einigen Tagen nicht rasiert. Außerdem umgab ihn ein weiterer verlockender Geruch – seine persönliche Note.
Ganz allmählich dämmerte ihr, dass er ihr nichts Böses wollte. Ihr Kampfgeist sank, und sie fühlte sich seltsamerweise stark zu ihm hingezogen.
Alessandro spürte ihren Sinneswandel. Sie wehrte sich nicht länger, sondern schien auf seinen nächsten Schritt zu warten. Zögernd setzte er sie auf einen der Küchenstühle und legte ihr eine Hand auf die Schulter, damit sie nicht aufspringen konnte. Er hatte Sorge, seine Sicherheitsleute könnten sie ergreifen und grob behandeln. Wieso sie seinen Beschützerinstinkt weckte, hinterfragte er nicht, dazu war er zu erschöpft. Seit Tagen hatte er kaum geschlafen und konnte es nicht erwarten, endlich das Kind zu finden.
„Sprich mit ihr“, wies er Carlo an und zog die Hand zurück.
Der tröstlichen Berührung beraubt, fühlte Maisy sich unvermittelt einsam. Verwirrt sah sie dem Mann entgegen, der auf sie zutrat und sich förmlich vor ihr verneigte. Er war kleiner, schmächtiger und vermutlich etwa zehn Jahre älter als der andere.
„Guten Abend, Signorina . Verzeihen Sie unser ungebetenes Erscheinen. Mein Name ist Carlo Santini, ich arbeite für Alessandro Tremante.“
Mehr habt ihr dazu nicht zu sagen? dachte Maisy verärgert und wandte sich wortlos zu dem jüngeren Mann um, der ein Handy aus dem Jackett gezogen hatte und offenbar eine SMS las.
„Versuch es auf Spanisch“, wies er den älteren Mann an.
Carlo stellte sich ihr erneut vor, auf Spanisch, Italienisch und sogar Polnisch, wenn sie sich nicht irrte, während sie sich immer wieder zu dem anderen Mann umwandte, offenbar dem Anführer der Truppe. Er strahlte Selbstbewusstsein und Kontrolliertheit aus. Als er sie im Arm gehalten hatte, hatte sie allerdings noch etwas anderes gespürt …
Sie erschauerte, und er sah auf. Unter seinem eindringlichen Blick setzte ihr Herzschlag für einen Moment aus.
„Sie ist Engländerin“, stellte er unvermittelt fest und steckte das Handy wieder ein. „Verraten Sie mir, wo der Junge ist.“
Alle Farbe wich aus Maisys Gesicht.
Alessandro fluchte innerlich, doch für Rücksichtnahme und Feingefühl fehlte ihm die Zeit. Als sie nicht sofort antwortete, verlor er die Geduld. „Ich nehme den Sohn von Leonardo Colei mit mir. Bringen Sie mich zu ihm.“
„Nein! Für wen halten Sie sich eigentlich?“
Widerspruch war er nicht gewöhnt. Das Kätzchen zeigt die Krallen, dachte er und verspürte wider Willen Hochachtung und einen Anflug von … Verlangen.
„Gestatten, Alessandro Tremante, Lorenzos gesetzlicher Vormund.“
Einen Moment lang musterte Maisy ihn. Mit dem athletischen Körper, dem dunklen, kurz geschnittenen Haar und den attraktiven maskulinen Gesichtszügen verkörperte er ihr Ideal von einem Mann.
Sei froh, dass endlich jemand die Verantwortung für Lorenzo übernimmt, ermahnte sie sich, während sich gleichzeitig ein Kloß in ihrer Kehle formte. Eine Trennung von dem Jungen konnte sie nicht zulassen. Das bedeutete, dieser Mann musste sie mitnehmen, wohin auch immer, und das musste sie ihm begreiflich machen. Ihr wurde flau im Magen, und sie identifizierte das unangenehme Gefühl als Angst.
Offenbar hielt er alles Nötige für gesagt, denn er wandte sich um und ging in Richtung Treppenhaus.
„Warten Sie!“, rief sie erschrocken, was ihm keine Reaktion entlockte.
Sie sprang auf und lief ihm hinterher, während sie ihm erklärte, dass er Lorenzo nicht aufwecken durfte. Er ignorierte sie völlig.
Erst als er auf dem Treppenabsatz vor dem Kinderzimmer ankam, holte sie ihn ein. „Bitte bleiben Sie stehen.“ Rasch schlang sie ihm die Arme um die Taille.
Alessandro
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