Romanze im spanischen Schloss
wenn sie Glück hatte. Da er in einem der anderen Gebäude wohnte, liefen sie sich auch nicht zufällig über den Weg.
Hatte er mit seiner Frau im Haupthaus gelebt, bevor sie ihn verlassen hatte? Jillian hätte es zu gern gewusst, wagte allerdings nicht, ihn zu fragen. Doch egal, wie die Antwort lautete, sie hatten sowieso kaum noch Kontakt, denn er arbeitete von morgens bis abends.
Obwohl Jillian sich vor dem Arzttermin fürchtete oder vielmehr davor, was die Untersuchung ergeben würde, freute sie sich auf die Fahrt mit Remi. Sie wollte ihm ihre Entwürfe zeigen, und, was noch wichtiger war, sie sehnte sich nach ihm. In seiner Gegenwart fühlte sie sich wie elektrisiert und wunderbar lebendig.
Nach dem Besuch bei dem Mediziner würde Remi sie zum Hotel Prado Inn bringen und sich von ihr verabschieden. Darüber wollte sie allerdings jetzt noch nicht nachdenken. Wenn sich ihre Pläne verwirklichen ließen und ihr Reiseveranstalter mit ihm ins Geschäft kam, hätten sie zwangsläufig weiterhin Kontakt. So vertraulich, wie sie im Krankenhaus miteinander umgegangen waren, würde es zwischen ihnen nie wieder sein. Solche kostbaren Momente schienen ohnehin jenseits der Wirklichkeit stattzufinden.
Unter keinen Umständen durfte er jemals erfahren, wie schwer es ihr fallen würde, ohne ihn weiterzuleben. Da er sich nicht für sie interessierte, konnte er natürlich leicht auf ihre Gegenwart verzichten.
Nach allem, was er durchgemacht hatte, war sein Vertrauen anderen Menschen gegenüber wahrscheinlich nachhaltig gestört, sodass er sich schon allein deswegen auf keine romantische Beziehung mehr einlassen würde.
Vielleicht würde er nach vielen Jahren der Einsamkeit und des Alleinseins eine Frau aus seinen Kreisen finden, die sein Leben mit ihm teilte. Doch so viel und so tief wie für seine Frau, die ihn schändlich belogen und betrogen hatte, würde er für keine andere Partnerin empfinden.
Eigentlich hätte es ihr egal sein können. Trotzdem machte es ihr das Herz schwer, und sie gestand sich ein, dass sie sich hoffnungslos in ihn verliebt hatte. Dieses Mal war alles anders als damals, als sie mit Kyle zusammen gewesen war. Es hatte keine Hindernisse, keine unbewältigte Vergangenheit gegeben, sie waren unbeschwert glücklich gewesen. Sie musste sich damit abfinden, dass sie Remi nur aus der Entfernung lieben konnte. Er durfte es nicht einmal ahnen.
Wenn sie auf ihn zuginge, würde sie unweigerlich an der Mauer abprallen, die er um sich her errichtet hatte, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Aber sie konnte sich darüber freuen, dass sie ihm hatte helfen können, sich für neue Möglichkeiten zu öffnen und dadurch sein Erbe auch in unsicheren Zeiten zu erhalten. Und die Touristen, die das Landgut und seinen Betrieb besichtigten, würden einen kleinen Einblick in die glorreiche Vergangenheit Kastiliens bekommen.
6. KAPITEL
Am nächsten Morgen fuhr Remi schon in aller Frühe mit Jillian nach Madrid, um den Arzttermin nicht zu versäumen. Sie hätten sich jedoch Zeit nehmen können, denn das Wartezimmer war voller Patienten, die beinahe im Fünfminutentakt aufgerufen wurden.
Jillian sah ausgeruht und wunderschön aus in dem aprikosenfarbenen Sommerkleid mit der kurzen modischen Jacke aus demselben Material und zog alle Blicke auf sich. Während sie darauf wartete, zu erfahren, ob ihre Sehkraft auf dem rechten Auge erhalten geblieben war oder nicht, wirkte sie äußerlich völlig ruhig und gefasst. Doch Remi spürte ihre große Angst vor einem negativen Befund.
Auf der Fahrt hatte sie sich lebhaft und munter mit ihm unterhalten. Ihre Ideen zur Umgestaltung der alten Ölmühle fand er brillant, aber er hatte sich kaum darauf konzentrieren können, weil er mit ihr litt. Ihm war klar, dass sie nur ihre Angst überspielte, mit der sie sich seit dem Unfall herumquälte.
Pünktlich um acht Uhr morgens hatte sie mit ihrem Koffer an der Treppe des Haupthauses gestanden, wo er sie abholte. Am liebsten hätte er das Gepäckstück sogleich wieder auf ihr Zimmer gebracht, doch dann hatte er es sich anders überlegt und ihn schweigend im Wagen verstaut. Jillian konnte keine zusätzliche Aufregung gebrauchen, zuerst musste sie den Termin bei dem Mediziner hinter sich bringen. Danach wollte Remi ihr seine Vorschläge unterbreiten.
„Miss Gray, kommen Sie bitte mit?“, forderte die freundliche Arzthelferin sie schließlich auf.
Jillian stand auf und folgte der jungen Frau in das Behandlungszimmer. Wie
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