Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
sollte), stach man sich manchmal auch einfach durchs Herz, schlitzte sich selbst die Kehle auf oder fügte sich zahlreiche flache Schnitte am ganzen Körper zu, um langsam zu verbluten. Alle nur erdenklichen schaurigen Sühnetaten sind überliefert. Gegen Ende der Samurai-Ära wurde Seppuku zu einem rein symbolischen Akt – vielleicht, weil alle Methoden der Selbstverstümmelung ausgereizt waren. So taten viele Samurai schließlich weiter nichts, als sich mit einem Fächer oder einer Dolch-Attrappe an den Bauch zu tippen, um sodann – angeblich schmerzlos – geköpft zu werden.
Turniere wie das «Reitertreffen» gab es tatsächlich. Sie waren nicht nur eine gute Übung für den Krieg, sondern die Samurai liebten es auch, ihr Können und ihre Tapferkeit zur Schau zu stellen, und solche Wettbewerbe boten ihnen Gelegenheit dazu, ohne dass sie fürchten mussten, arrogant zu erscheinen. Das im Roman geschilderte Turnier beruht auf dem Somo-Nomoai in Fukushima, bei dem die Samurai ein Banner fangen mussten, das an Feuerwerksraketen in die Luft geschossen wurde.
Schließlich noch einige Bemerkungen zur Schlacht von Sekigahara im Herbst 1600 : Ob Musashi daran teilnahm, auch darüber streiten die Gelehrten; von ihm selbst ist dazu leider keine Aussage überliefert. Einige Quellen behaupten, er habe überaus tapfer unter Fürst Hideie Ukita gekämpft, anderen zufolge stürmte er noch vor Beginn der Schlacht recht dramatisch davon und brüllte, er diene niemandem.
Ob er nun dabei war oder nicht – es war eine Schlacht, die den Verlauf der japanischen Geschichte der nächsten zweihundertfünfzig Jahre bestimmen sollte und dank derer der Tokugawa-Clan faktisch die Herrschaft über das Land errang. Die Bedeutung dieser Schlacht lässt sich nur schwer in wenigen kurzen Absätzen zusammenfassen. In ihr kulminierten tatsächlich Jahrzehnte des Bürgerkriegs und eine Vielzahl unterschiedlicher Pläne, Intrigen und Komplotte. Ich kam nicht umhin, das im Roman wie auch an dieser Stelle vereinfachend darzustellen.
Die beiden verfeindeten Seiten waren ungefähr gleich stark, boten jeweils circa achtzigtausend Krieger auf. Das waren weit größere Streitmächte als bei einer offenen Feldschlacht sonst üblich, und die Zahl der Soldaten wurde nur von einigen großen Belagerungen der japanischen Geschichte noch übertroffen. Sekigahara war ein untypischer Schauplatz für eine Schlacht: ein abgelegenes kleines Dorf in einem größtenteils bewaldeten Tal, in dem es schwer war, Truppen zusammenzuziehen und zu befehligen. Während ich es im Roman so dargestellt habe, dass die Tokugawa über Nacht eintrafen, dauerte es in Wirklichkeit etwa zehn Tage, bis die Heere sich gesammelt und kampfbereit gemacht hatten.
Die Kämpfe selbst verliefen überaus chaotisch. Der erste Grund dafür war der dichte Nebel am Morgen der Schlacht, der die Kommunikation sehr erschwerte. Als er sich lichtete, hatten bereits unkoordinierte Scharmützel und Gefechte begonnen. Zweitens bestanden beide Heere aus Koalitionen: Zwar hatten die Fürsten entweder Ieyasu Tokugawa oder Ishida Mitsunari die Treue gelobt, doch in manchen Fällen war es mit diesen Schwüren nicht weit her. Viele Fürsten sahen die Gelegenheit, Feinde anzugreifen, mit denen ihr Clan noch alte Rechnungen zu begleichen hatte, und statt Befehle zu befolgen, starteten sie wilde Angriffe, die jede Hoffnung auf eine gemeinsame Strategie zunichtemachten. Vergeltung war nun einmal heilig. Drittens verließ sich Tokugawa fast ausschließlich auf Verrat und Täuschung: Seine Agenten und Diplomaten hatten einigen seiner Gegner bereits Monate oder gar Jahre zuvor milde Behandlung in Aussicht gestellt oder andere Zusicherungen gemacht.
Das ermöglichte den Wendepunkt der Schlacht: den Verrat, den Fürst Hideaki Kobayakawa verübte. Ukita und er hatten im Heer des Westens die meisten Soldaten aufgeboten, ein Viertel bis ein Drittel der gesamten Truppenstärke. Kobayakawa hatte im Voraus eingewilligt, sich auf Tokugawas Seite zu schlagen, doch als die Schlacht begann, zögerte er feige und wollte erst einmal abwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden.
Das Kräfteverhältnis war so ausgeglichen, dass sich Kobayakawa durchaus für beide Seiten als Held hätte erweisen können. Die Kämpfe zogen sich vom frühen Morgen bis zur Mittagszeit hin, und Tokugawa, der selbst unter den Samurai als ruhiger, gefasster Mann galt, soll so nervös gewesen sein, dass er sich die Fingernägel blutig kaute und auf sein
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