Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
Urlaub für wichtiger hielt, ich ihm wichtiger war.
Er schluckte seine Nudeln hinunter. »Und was ist dann mit dir?«
Der Schuss ging nach hinten los. »Ich amüsiere mich schon.«
»Ich weiß nicht.« Martijn schenkte sich noch etwas Weißwein nach. »Esther wird es mir nie verzeihen, wenn ich dich hier allein zurücklasse.«
»Sie weiß ja nichts. Du brauchst es ihr doch nicht zu erzählen?« Ich schwenkte das Wasser in meinem Glas, während ich mir vorstellte, wie es wäre, wenn ich hier allein bliebe. Die Idee war nicht sehr verlockend. Wenn Martijn bloß noch in seinem Appartement in der Stadt wohnen würde! Dort konnte man immer etwas unternehmen wie Skaten oder Ballspielen im Park, ein Konzert besuchen oder auf den Ramblas herumhängen, wo man problemlos allerlei nette Leute treffen konnte. In diesem Rentnerviertel hier würde ich mich zu Tode langweilen; es war noch stiller als auf einem Friedhof. Mit dem Bus ins Zentrum war auch keine Option, ich hatte zumindest nirgends eine Haltestelle gesehen. Wahrscheinlich brauchten die Bewohner hier keinen öffentlichen Nahverkehr bei all den protzigen Wagen vor den Haustüren.
Ich dachte an das Jahrhundert Regaleauffüllen im Supermarkt, um mir diesen Urlaub leisten zu können, und stöhnte innerlich. »Oder ich buche mein Ticket um und fliege einfach wieder nach Hause.«
»Aber wäre das denn in Ordnung für dich?« Martijn versuchte, nicht allzu erleichtert zu klingen. »Ich meine, du bist gerade angekommen.«
In meine Klasse gehen etliche Jungs, die sich immer alles zu sagen trauen – egal, ob zu Mädchen oder Lehrern und so. Zum Beispiel sagte Mick zum Peters von Mathe, in seiner Stunde müsse man einfach einpennen, wenn er so lahm erklärte. Das stimmt auch. Aber als ich danach Peters Blick sah, als wäre er gerade in einem Computerspiel von zehn Ninjas geköpft worden, tat er mir auf einmal leid und ich platzte heraus: »Aber was Sie da über die Primzahlen erzählten, war durchaus interessant.«
So geht das immer. Ich denke das eine und sage das andere.
»Uns bleiben noch vier Tage, in denen wir gemeinsam was unternehmen können«, sagte ich zu Martijn. »Und meine Mutter findet es bestimmt klasse, wenn ich mit ihr und Carl in die USA fliege.«
Er leerte sein Glas in einem Zug. »Okay dann. Es ist auch wirklich eine einzigartige Chance für mich.« Dann schob er seinen Teller beiseite und ging zum Telefon. »Ich rufe Jackie gleich an. Wenn du dann schon mal Esther Bescheid gibst.«
Ich nahm mein Handy und starrte auf den grauen Bildschirm. Die Staaten schienen mir fantastisch, aber wenn ich einen Monat mit dem Saugnapf und meiner Mutter in einem Mietauto sitzen musste, würde ich hundertprozentig Mordgelüste hegen.
Mit einer entschlossenen Geste steckte ich mein Handy weg.
Vier Tage später setzte mich Martijn wieder am Flughafen ab. »Nächstes Mal gehen wir wirklich in den Pyrenäen wandern.« Wir schlugen uns auf die Schultern.
»Beeil dich jetzt«, sagte ich. »Du musst Jackie noch abholen.«
»Viel Spaß in the States!« Er zog die Autotür zu und fuhr davon.
Ich wartete, bis Martijn außer Sicht war. Dann folgte ich den Hinweisschildern zu den Zügen.
Schön, dass ich nicht in die Staaten fuhr. Und auch nicht nach Hause. Von jetzt an hieß es Lang lebe die Freiheit! Ich würde einen Sprachführer kaufen. Ich hatte einen Rucksack und genügend Geld auf dem Konto, um es ein paar Wochen auszuhalten. Meine Entdeckungsreise konnte beginnen!
Ich kaufte eine Karte für den nächstbesten Zug und ging zum Bahnsteig. Schließlich war ich sechzehn, was sollte also groß passieren?
7
Zeit: heute
Ort: Polizeiwache Francaz – Spanien
Perez sagt, sie wollen meine Mutter und Carl ausfindig machen. Ich kann es kaum erwarten, bis Esther bei mir ist, auch wenn sie wahrscheinlich ziemlich sauer sein wird. Das verstehe ich auch gut. Im Nachhinein wäre ich auch lieber nach Hause geflogen, dann säße ich jetzt nicht in der Patsche. Ich begreife es übrigens immer noch nicht. Warum hat Val der Polizei gesagt, ich hätte Frau Somez ermordet? Sie weiß doch, wie es war?
Ich versuche, mir den Moment wieder vor Augen zu rufen. Val war zur Bar gegangen, um ein paar Getränke zu bestellen. Sie kam mit einem Geldbeutel zurück. »Von der blonden Frau, die hier saß«, sagte sie. »Sie hat ihn vergessen.« Aber ich kann mich an keine blonde Frau erinnern. Meiner Ansicht nach hatte nur ein älteres Ehepaar am Pool gelegen. Die einzige Blondine, an die ich mich
Weitere Kostenlose Bücher