Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
Eigentlich wollte er auf der Theaterbühne stehen und griechische Tragödien und Shakespeare und so spielen. Deswegen nahm er gern an Workshops und Meisterklassen berühmter Schauspieler teil.
Jemand kam die Treppe hoch.
»Esther ist zu Hause«, sagte ich. »Ich höre jetzt auf.«
Martijn nickte. »Grüß sie von mir. Bis bald, Brüderchen.« Dann unterbrach er die Verbindung.
Ich entfernte die Webcam, klappte meinen Laptop zu und legte beides unter mein Bett.
Ein Klopfen an der Tür. »Fin?«
»Ist offen.«
Meine Mutter streckte den Kopf um die Ecke. »Hallo, Schatz. Schau mal, was ich für dich habe.«
Ihr restlicher Körper kam nun auch herein. Sie drehte sich um und zeigte mir den großen Rucksack, der um ihre Schultern hing. Die Rückseite war grün mit Schwarz und der etwas verschlissenen Klappe nach war das Gepäckstück schon weit gereist.
»Von Kai«, sagte sie. »Du darfst ihn leihen.«
Kai war ihr Kollege im Büro.
»Nicht schlecht.« Ich stand auf und nahm ihr den Rucksack ab. Er hing lose auf meinem Rücken und wog weniger als meine Schultasche. Das würde sich vollgepackt schnell ändern.
Ich dachte an meine beiden besten Freunde. Menno würde mit seinen Eltern drei Wochen auf einem Campingplatz in Zeeland verbringen und Tom flog mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Griechenland, wo sie ein Appartement gebucht hatten. Im Vergleich zu ihnen fühlte ich mich wie ein Entdeckungsreisender. Plötzlich konnte ich es kaum erwarten.
Meine Mutter hatte sich auf meinem Bett niedergelassen und klopfte mit der flachen Hand einladend auf den Platz daneben. Ich setzte mich zu ihr.
»Findest du es wirklich nicht schlimm, dass ich in die Staaten fliege?«, fragte sie.
Während meines Spanienurlaubs, würde sie mit ihrem Freund Carl auf Reisen gehen. Im Stillen nannte ich ihn den Saugnapf. Wenn man ihn einen Abend bei uns zu Hause erlebt hat, weiß man, warum. Meine Mutter scheint ihn unwiderstehlich anzuziehen wie ein Stück Sahnetorte, von dem er nicht die Finger lassen kann. Nicht einmal, wenn ich dabei bin. Eigentlich müsste ein Gesetz erlassen werden, das Leuten über dreißig verbietet, Speichel miteinander auszutauschen.
Ich schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich?«
»Na ja.« Sie hielt mich fest. »Es kann immer etwas passieren und dann bin ich nicht zu Hause.«
»Was denn?«
»Was weiß ich. Herunterfallende Felsbrocken. Blutgefüllte Blasen oder ein Mordsstreit mit Martijn.« Sie zog mich fest an sich, als wäre ich sechs und keine sechzehn. »Wenn du dann plötzlich früher nach Hause willst, ist keiner da, um dich vom Flughafen abzuholen.«
»Es gibt auch Züge. Und weshalb sollte ich auf einmal Streit mit Martijn bekommen?«
Sie seufzte. »Du hast natürlich recht. Ich muss mich einfach noch dran gewöhnen, dass ich einen so großen, vernünftigen Sohn habe.« Jetzt küsste sie mich auch noch ab!
»Aufhören!«, rief ich.
Manchmal ist sie eher ein junges Mädchen als eine Mutter. Sie presste ihre Lippen wieder auf meine Wange und ließ es knattern wie einen Furz.
»Mama!!« Ich kringelte mich vor Lachen und ließ mich rückwärts aufs Bett fallen. »Igitt!«
4
Zeit: heute
Ort: Polizeiwache Francaz – Spanien
Barbalala hat mich zu meiner Zelle zurückgebracht. Ich habe versucht, ein wenig zu schlafen, aber mein Kopf scheint aus allen Nähten zu platzen. Zu allem Überfluss liegt der Obdachlose jetzt auf dem Rücken und schnarcht mit der Lautstärke einer Motorsäge.
Zum Glück ist mir auch etwas Positives eingefallen. Wenn die Polizisten Val sagen, dass ich ein Mörder bin, wird sie es nie glauben. Sie weiß, dass ich den Geldbeutel nicht stehlen, sondern nur zurückbringen wollte.
Leider ist sie noch immer nicht aufgetaucht. Wenn ich sie nur anrufen könnte. Ich dachte, nach einer Verhaftung hätte man immer das Recht auf einen Anruf, aber Barbalala hat mich nicht danach gefragt. Oder ich habe sie nicht verstanden, aber das glaube ich eigentlich nicht, das hätte sie leicht mit Gebärden darstellen oder mir einfach einen Hörer in die Hand drücken können. Na ja, auch egal. Ich kenne Vals Nummer sowieso nicht auswendig. Sie ist in meinem Handy gespeichert, das ich in meinem Tran in meinem Rucksack habe stecken lassen.
Meine Mutter kann ich schon gar nicht erreichen. Amerika ist Lichtjahre von Spanien entfernt und dann haben sie auch noch irgend so ein lächerliches Telefonsystem, bei dem sie ihr niederländisches Handy eh nicht nutzen kann. Das hat mir zumindest der
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