Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
da überhaupt an? Macht es dir Spaß, alt und trutschig auszusehen? Warum trägst du solche flachen braunen Schuhe? Und woher hast du eigentlich dieses Kleid? Von einer Bauersfrau? Warum hast du graue Haare? Ich bin deine Mutter und lege Wert darauf, dass man in meinem Haar kein Grau sieht.«
Sie verschränkte die Hände. »Grau ist etwas für alte Frauen. Für Frauen, denen ihr Aussehen egal ist. Ihr seid erst Mitte dreißig, aber … du wirst alt, Janie, das merke ich. Du solltest Wert darauf legen, deine Jugend zu bewahren, statt dich alt zu machen.«
»Momma!«, mahnten Cecilia und ich.
Janie murmelte mit weinerlicher Stimme: »Sie ist eine verletzte, verwirrte Frau. Du musst jetzt stark sein. Über ihre Kleinlichkeit erhaben sein.«
»Hör sofort mit diesem Gebrabbel auf!«, befahl Momma.
»Ja, Momma, schon gut«, sagte ich, um sie zu beruhigen, und stellte mich vor Janie.
Sie wimmerte vor sich hin: »Du bist nicht mit ihr verbunden. Sie kann dir nicht wehtun, wenn du es nicht zulässt. Tief durchatmen …«
Wie oft hatte ich das schon getan? Wie oft hatte Cecilia das gemacht? Vor Janie zu treten, um sie vor Momma zu schützen. Wir alle waren Mommas persönliche Dartscheiben, doch besonders scharf schoss sie mit ihren Bemerkungen auf Janie. Wahrscheinlich weil sie sich nicht wehrte. Ich schon. Cecilia manchmal auch. Aber Janie nie. Unsere jüngere Schwester fiel in sich zusammen.
»Hm.« Momma richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich. »Du trägst dein Haar ja immer noch in hundert kleinen Zöpfen, Isabelle. Was soll das? Du bist doch keine Schwarze, oder?«
»Sagt die Hexe höchstpersönlich …«, streute Cecilia leise ein.
»Ich glaube nicht, dass ich Afroamerikanerin bin, Momma, es sei denn, du hast vergessen, mir etwas zu erzählen?«
»Schwarze flechten ihr Haar zu Zöpfen. Bist du schwarz? Nein, bist du nicht. Es steht dir nicht. Das wirkt gekünstelt. Billig.«
»Also, ich finde meine Zöpfe cool.« Ich drückte die Schultern durch und sah ihr in die Augen. Im Laufe meiner Arbeit war ich mordlustigen Kriegstreibern und angsteinflößenden Männern mit verspiegelten Sonnenbrillen und Gewehren entgegengetreten, war vor wilden, randalierenden Menschenmassen geflüchtet, hatte mich hinter Panzern versteckt, um Granaten auszuweichen. Ich würde auch mit meiner Mutter fertigwerden.
Vermutlich.
»Cool?« Sie klopfte mit ihren perfekt lackierten roten Fingernägeln auf den Tisch. »Cool? Du siehst aus wie ein Hippie, der in den Sechzigern in Woodstock gezeltet hat. Trägst du eigentlich nie einen BH?«
»Heute nicht. Heute wollte ich mich locker fühlen, nicht eingezwängt.«
»Locker? Eine Dame sollte sich nie locker fühlen. Die Brust gehört in einen BH, fest an den Körper gedrückt, da darf nichts wabbeln. Was ist deine Entschuldigung dafür, dass du so völlig undamenhaft herumläufst?«
Ich widerstand dem Impuls, über die Heuchelei hinter dieser Frage zu lachen. »Tja, ich habe in der letzten Woche auf meinem Balkon zwei BHs verbrannt und hatte keine Lust, einen anderen anzuziehen. Außerdem wusste ich ja, Momma, dass ich das Vergnügen deiner Gesellschaft haben würde.«
In ihr begann es zu brodeln. »Verrat mir doch bitte, was das mit BHs zu tun hat.«
»Ich musste mich ein bisschen freier, nicht eingezwängt fühlen, weil ich wusste, dass ich bei dir das Gefühl haben würde, mich selbst einliefern und um eine Zwangsjacke betteln zu müssen.«
Momma atmete tief ein und streckte die Brust heraus. »In diesem Ton redest du nicht mit mir. Das verbitte ich mir! Es ist respektlos.«
»Wenn du Janie nicht ständig fertigmachst, Momma.« Ich stemmte die Hände in die Hüften, mein ganzer Körper schmerzte. Warum konnte sie uns nicht wie eine normale Mutter lieben? Warum konnte sie uns nicht in die Arme nehmen, festhalten und uns für unser Kommen danken?
»Für euch drei habe ich Jahre meines Lebens geopfert …«
»Fang nicht damit an, Momma. Lass es lieber!«
»Als ihr klein wart, habe ich euch alles gegeben, was ich hatte …«
»Allerdings. Und oft warst du so gemein wie eine fiese Klapperschlange und hast dich wochenlang ins Bett gelegt«, bemerkte ich.
»Wie kannst du es wagen! Wie kannst du nur!« Sie schlug mit den flachen Händen auf den Tisch.
»Ich kann es wagen, weil ich nicht zulassen werde, dass du das schönredest, was mit uns als Kindern geschehen ist, nur damit wir Schuldgefühle bekommen und hierbleiben.«
»Schönreden? Ich habe gearbeitet, ich habe Sachen
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