Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
stehen und sah mich um. Sie hockte auf allen vieren im Gras und würgte. Ihr schmaler Körper wurde von Übelkeit geschüttelt.
»Das findest du schon schlimm, du Graf Zahl der Einzelgänger?«, fuhr Cecilia sie an, mitfühlend wie immer. »Leb damit mal jeden Tag, von morgens bis abends, jahrelang! Weißt du, wie oft ich gehört habe, ich sei so fett wie ein trächtiges Nilpferd? Dass sie nie gedacht hätte, so eine dicke Tochter zu haben? Steh auf, Klopf-Königin, und reiß dich zusammen!« Sie stampfte an mir vorbei, packte sich zwei Koffer und marschierte ins Haus. »Rein jetzt mit dir, du Einsiedlerkrebs!«
»Ich nehme deine Sachen mit, Janie«, sagte ich. Sie nickte schwach und würgte erneut.
Janie hatte fünf Koffer dabei, dazu ein Laptop, einen Sack mit Selbsthilfebüchern und klassischer Literatur, ein großes Foto ihres Hausboots (»damit ich einen friedlichen Ort visualisieren kann«), indische Meditationsmusik, ihren Handarbeitskorb, verschiedene Teesorten, eine CD von Yo-Yo Ma, eine Yogamatte, ein Bild ihrer Therapeutin und neun unbenutzte Tagebücher, in die sie schreiben wollte, wenn »ich das Gefühl habe, nicht mehr gegen Momma anzukommen oder von ihr erniedrigt zu werden. Mein Tagebuch bringt mich dann wieder zu mir selbst, es hilft mir, die Güte und Kraft in meiner Mitte zu finden und den Mut, aufrecht dazustehen als Mensch, der Respekt verdient.«
Ich ließ Henry bei der blassen Janie zurück, der sie beruhigend streichelte, hängte mir meine Lieblingskamera um den Hals und zog meine Koffer ins Haus, die Holztreppe hoch, den gelb gestrichenen Flur hinunter in mein altes Zimmer.
Mein Schlafzimmer war in einem blassen Mooston gestrichen und hatte einen Fenstersitz mit Blick auf die vordere Veranda. Früher stieg ich nachts immer aus diesem Fenster, um den einen oder anderen Jungen zu Aufmerksamkeits- oder Beischlafzwecken zu treffen. Auf meinem Doppelbett lag eine geblümte Tagesdecke. Zwei weiße Nachttische, eine weiße Kommode und ein Schreibtisch vervollständigten die Einrichtung.
Janies Zimmer war rosa mit weißen Vorhängen. Es war kleiner als meins, besaß aber ein originelles Spitzdach und zwei Erkerfenster. Ich wusste, dass Janie in Kürze in ihrem Wandschrank hocken und mit sich selbst reden, sich vor und zurück wiegen und Blumen sticken würde, damit Momma nicht die Erfolge jahrelanger Therapie zerstörte.
Schon jetzt hatte ich das Gefühl, die Wände drängten auf mich zu und bedrohten meine zerbrechliche geistige Gesundheit, an der ich zäh festhielt. Ich war schon lange erwachsen, doch nur wenige Minuten in diesem Haus, und ich entwickelte mich zurück zum Kind.
Ich warf die Zöpfe nach hinten und atmete zitternd durch.
Ich war zu Hause.
Willkommen in deinem Albtraum , sagte ich zu mir. Herzlich willkommen zurück.
Ungefähr eine Stunde später hörte ich, wie der Minivan vor dem Haus hielt. Ich lehnte mich aus meinem Zimmerfenster, und der wilde Wind fuhr mir in die Zöpfe mit den Perlen.
Da war Grandma: Ungewollt musste ich schmunzeln. Kurz darauf hörte ich sie die Treppe hinaufstapfen, dann ein forsches Klopfen an meiner Tür.
Ich lächelte meine Großmutter an, eine zierliche Frau mit weißen Locken, die in einer altmodischen Fliegermontur in der Tür stand, komplett mit antiquierter Fliegerkappe und -brille. Es war schwer zu glauben, dass Grandma ein Hitzkopf gewesen war, bis die Demenz sie vor einigen Jahren einholte; sie hatte Momma gepiesackt, bis die vor lauter Wut kaum noch geradeaus blicken konnte.
»Amelia!«, rief ich. »Amelia Earhart!«
»Schön, Sie zu sehen, junge Frau!« Grandma sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, salutierte und schlug dabei die Hacken ihrer schwarzen Armeestiefel zweimal zusammen. »Sie kommen mir bekannt vor. Ich glaube, wir haben uns während meiner Vortragstour 1929 kennengelernt. Diese Tour hat mich erschöpft!« Sie legte eine Hand auf die Stirn. »Meine Nebenhöhlen! Völlig verstopft. Sie brannten, liefen.«
»Wie geht es Ihren Nebenhöhlen heute, Mrs Earhart?«
»Besser.« Sie hob den Kopf, fasste sich an die Nase. »Wahrscheinlich durch die letzte Operation. Die Ärzte hatten keine Ahnung, was sie da machten, null. Männer sind dumm. Ich bin froh, dass meine Nase noch dran ist.«
»Das freut mich auch, Amelia.«
Ich nahm sie in die Arme. Zuerst wirkte sie überrascht, doch dann erwiderte sie die Umarmung.
»Meine Fans lieben mich!«, verkündete sie, trat nah an mich heran und warf einen meiner Zöpfe nach
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