Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
»O nein! Nicht weinen. Nicht weinen! Ich geh zu Jesus. Ich seh euch wieder.«
»Onkel Henry«, sagte Riley, so lieb und traurig, und lehnte den Kopf an seine Brust.
Er tätschelte sie.
»Onkel Henry, ich hab dich lieb«, sagte Kayla. Sie trug eine gehäkelte Kippa mit Blumenmuster auf dem Kopf, wie sie jüdische Frauen tragen.
»Hübsche Kappe, die du da hast, ich glaub, Jesus mag deine Kappe, Kayla.«
Beide Mädchen weinten und umarmten ihn.
»Seid brav. Seid brav.« Henry seufzte.
Momma versuchte ihr Schluchzen zu unterdrücken, doch es gelang ihr nicht.
Grandma musste das Schluchzen ihrer Tochter gehört haben, denn sie kam hereinmarschiert, direkt auf Momma zu, die neben Henrys Bett saß und weinte, nahm sie in die Arme und wiegte sie.
Die beiden nach ihren jahrzehntelangen Streitereien so zu sehen, der kahle Kopf neben dem weißen Haar, ließ mir die Tränen in die Augen steigen.
Nach zwanzig Minuten stand Grandma auf, verbeugte sich förmlich vor Henry und streifte ihm die Fliegerbrille über den Kopf.
»Ich verleihe dir meine Fliegerbrille, junger Mann«, sagte sie feierlich. »Du hast sie verdient. Halte sie in Ehren.«
Henry grinste uns durch die Fliegerbrille an. »He, ich liebe euch. Ich liebe meine Familie. Dad ist zurück. Seht ihr? Dad ist zurück.« Seine Augen schlossen sich allmählich. »Wir sind eine Familie. Die Bommarito-Familie.«
Wir machten das Licht aus und saßen im Dunkeln, während das Mondlicht durch die flatternden Vorhänge fiel.
Wir wurden immer stiller, bis wir nur noch Henrys mühevolles Atmen hörten. Die Abstände zwischen den Atemzügen wurden immer länger.
Momma stand kurz vor dem Zusammenbruch, daher gab sie Henry einen Kuss auf die Stirn, und Dad brachte sie ins Bett. Cecilia schickte die Mädchen zum Schlafen ins Gästezimmer, in dem sie öfter übernachteten.
Ich brachte Grandma ins Bett. »Lassen Sie meine Fliegerbrille bei meinem Kopiloten«, befahl sie. »Er wird sie brauchen, um aus dem Dschungel herauszufinden. Dort, wo er hingeht, gibt es Löwen, und die Brille bietet ihm Schutz.«
Ich versicherte ihr, mich daran zu halten. Dann machte ich das Licht aus, drehte mich aber rasch wieder um, weil unter ihrer Decke ein gedämpftes Geräusch hervorkam.
Grandma weinte leise in ihr Kissen. Ich hob sie hoch, sie war so leicht, setzte sie auf meinen Schoß und wiegte sie. Mit dem letzten bisschen Vernunft, das ihr noch geblieben war, wusste Grandma, dass ihr Kopilot starb.
»Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe«, wies sie mich an. »Lassen Sie die Fliegerbrille bei ihm.«
»Das mache ich, Amelia. Das mache ich. Die Fliegerbrille bleibt bei Henry.«
Ich rieb ihr den Rücken, deckte sie warm zu und strich ihr schwermütig über das weiße Haar, so lockig und weich.
»Er soll die Brille aufbehalten«, flüsterte sie kurz vor dem Einschlafen. »Er braucht meinen Schutz.«
Ich kehrte in Henrys Zimmer zurück und legte mich zu Janie, die neben Henry schlief, Cecilia war auf der anderen Seite.
Im Morgengrauen wachte Henry auf.
Wir gaben ihm etwas Wasser, weitere Schmerzmittel und machten sein Bett.
»Ich seh die Engel«, sagte er mit dünner Stimme.
Ich zog ihm die Decke bis ans Kinn. Cecilia streichelte seinen Kopf. Janie rieb ihm die Füße.
»Wie sehen sie aus?«, fragte ich.
Seine Augen waren nur halb geöffnet. »Weiß. Gold. Sie lächeln.«
»Sie müssen wunderschön sein, Henry.«
»Ja, wunderschön, Isi. Sie sind hier.«
»Was meinst du damit, sie sind hier?«, fragte Cecilia. Ihr Gesicht war angespannt.
»Sie sind hier, Cecilia. Hinter dir. Hinter meinen Schwestern.«
Janie war die Einzige, die einen Blick über die Schulter warf. Sie war kreidebleich, mit Ringen unter den Augen wie fleckige Blutergüsse. Ich hatte das Gefühl, sie vor meinen Augen verfallen zu sehen.
»Ich weiß, warum sie hier sind.« Henry seufzte. »Ihr Schwestern, ich sag euch, ich hab euch lieb.«
Ich ließ den Kopf hängen. Man fragt sich, wie viel Leid ein Mensch ertragen kann, bevor er zusammenbricht.
»Wir lieben dich auch, Henry.« Janie beugte sich mit zuckendem Körper vor. »Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll, Henry.«
Ich brachte sie zum Schweigen, aber Henry ließ sich durch ihre Ehrlichkeit nicht beirren.
»He, Janie, ich bin die ganze Zeit bei dir. Ich bin bei dir in der Bäckerei, mach Cupcakes mit Walen drauf. Ich bin bei dir im Tierheim, wenn du die Hunde streichelst. Streichelst du die Hunde für mich? Du weißt schon, Stevie.
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