Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
spürte ein stechendes Schuldgefühl, verdrängte es jedoch so schnell wie möglich, damit ich mit all den übrigen Schuldgefühlen leben konnte.
»Husch-husch!«, forderte ich ihn auf. »Ab nach Hause!«
Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
Kurz befürchtete ich, er würde nicht tun, was ich von ihm verlangte. Er kam mir nicht wie der Typ Mann vor, der sich von anderen herumkommandieren ließ. Normalerweise erteilte er die Kommandos selbst.
Aber nicht hier.
Ich trank noch einen Schluck Kahlúa. Lecker. »Mach keinen Blödsinn!«
»Ich mach doch keinen Blödsinn. Ich wollte dich zum Frühstück einladen …«
»Nein. Raus!« Raus hier. Aus meinem Leben. Aus meinem Kopf.
Völlig verwirrt schüttelte er den Kopf, das Wasser tropfte ihm aus den Ohren. »Gut. Ich bin weg. Wo ist meine Hose?«
Mit dem Kinn wies ich auf ein überfülltes Bücherregal, in dem sie gelandet war. Hastig zog er sie an, seine Augen huschten suchend durch meine Wohnung.
»Meine Jacke?«
Ich zeigte ihm den Holztisch, den meine Freundin Cassandra gebaut hatte. Wir hatten uns unter schwierigen Umständen kennengelernt, über die ich nicht lange nachdenken wollte. Der Tisch war verziert mit lächelnden Meerjungfrauen, die in einem Unterwassergarten schwammen. Cassandra hatte das Holz mit hellen, fröhlichen Farben bemalt. Zwei Wochen später war sie nach einem Essen zu ihren Ehren von einem der höchsten Gebäude Portlands gesprungen. Sie hatte ihr gesamtes Vermögen einem Verein für benachteiligte Jugendliche hinterlassen, dessen Vorsitz ich hatte.
Tage später erhielt ich per Post einen Brief von ihr. In dem Umschlag befand sich ein gelber Haftzettel, auf dem nur zwei Worte standen: »Hau rein!«
Ich beobachtete, wie der Mann meinen hübschen blau-weißen Spitzen-BH von seinem Schuh nahm und auf meine rote Ledercouch warf. Bald würde der BH Asche sein und vom Wind verweht werden. Vielleicht würde die Asche auf dem Kopf einer Meerjungfrau landen …
Ich zog die Tür noch weiter auf.
Er sah mich an, in seinen Augen lag Zorn und … da lauerte noch etwas anderes. Wahrscheinlich Schmerz. Vielleicht Demütigung.
Ich nickte. »Sei bitte nicht beleidigt. Es ist nichts Persönliches.«
»Nichts Persönliches?«, rief er. » Nichts Persönliches? Wir hatten letzte Nacht Sex, in deinem Bett. Ist das vielleicht nicht persönlich ?«
»Nein, ist es nicht. Mehr kann ich nun mal nicht. Als eine Nacht.«
»Das ist alles? Sonst nichts?« Er hob abwehrend die Hände. »Du hast keine Beziehungen, die länger als eine Nacht dauern?«
»Nein.« Ich legte den Kopf zur Seite. Der Typ sah gut aus. Einmal zum Friseur, und man hätte einen vielversprechenden Daddy-Kandidaten. Aber ich wäre nicht die Mami, so viel stand fest. Angesichts dieses alten Schmerzes schloss ich die Augen. »Nie.«
Er gab auf. »Glückwunsch. Sie bekommen eine Torte.« Er wandte sich zum Gehen, sein Hemd klebte an ihm.
Armer Kerl. Er war mit einem Topf Wasser im Gesicht aufgewacht. »Ich mag Torten. Am liebsten Schokolade-Trüffel-Rum, aber ich kann auch einen Blätterteig mit Zabaglione und Puderzucker zaubern, dass du dahinschmilzt. Ich musste früher für meine Mutter in der elterlichen Bäckerei arbeiten, und dabei ist so einiges hängengeblieben. Aber jetzt raus!«
Ich legte ihm die Hand auf die Brust und schob ihn hinaus. Dann lehnte ich mich gegen den Türrahmen.
Ich würde den BH und den Tanga verbrennen und dabei versuchen zu vergessen.
Der Regen würde mir helfen.
So ist das immer.
Der Regen spült die Erinnerungen fort.
Bis die Sonne herauskommt. Dann bist du wieder zurück am Anfang, und die Erinnerungen kommen und schnappen zu.
Sie kommen und packen dich.
Ich holte den Anzünder mit dem roten Griff aus der Küche, dazu Feuerzeugbenzin, eine Wasserflasche, meinen Spitzen-BH und den Tanga, dann öffnete ich die Glastür zu meinem Balkon. Wind und Regen erfassten mich wie ein kleiner Hurrikan, die Zöpfe schlugen mir gegen die Wangen.
Ein Teil meines Balkons ist überdacht, war also noch trocken. Ich legte BH und String zu den verbrannten Überresten einer anderen nicht erinnerungswürdigen Nacht auf ein Holzbrett in der Ecke und betätigte den Anzünder. BH und Tanga fingen Feuer, qualmten, wurden schwarz, kringelten sich, zischten und verbrannten.
Als sie eingeäschert waren, löschte ich den Brand mit Wasser aus der Flasche. Warum das ganze Wohnhaus abfackeln? Wäre doch sinnlos.
Ich setzte mich auf einen Metallstuhl und ließ den Regen
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