Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
lasse.« Ich ging wieder zurück nach draußen, schlug die Tür hinter mir zu, klopfte viermal an. Der Regen fiel wie aus Kübeln. Janie öffnete die Tür. Lächelte.
Ich verzog die Lippen zu einem Grinsen wie ein Tiger in den Wechseljahren und schob mich an ihr vorbei. Im Hintergrund lief eine Vivaldi-CD.
»Danke«, sagte Janie. Sie betastete ihr rötliches Haar, das sie zu einem Knoten hochgesteckt hatte.
Cecilia und ich fühlen uns als Beschützerinnen unserer jüngeren Schwester Janie und ihrer … nennen wir es Marotten. Wie sie einmal sagte: »Muss ja nicht die ganze Welt wissen, dass ich jeden Abend jede Schranktür an derselben Stelle mit demselben Druck anfassen muss, bevor ich ins Bett gehe, und dass ich noch mal von vorne anfangen muss, wenn ich auch nur einmal den falschen Druck anwende. Bis zu dreimal.« Anschließend hatte sie einen leisen Schrei ausgestoßen und sich die Hände vors Gesicht geschlagen.
»Was hältst du von diesem Messer, Isabelle?«, fragte sie mich.
Janies Augen sind strahlend grün. Und damit meine ich grellgrün. Irisierend. Wie immer trug sie ein hochgeschlossenes Kleid mit Spitzenkragen, dazu bequeme (sprich: altmodische) Schuhe. Janie trägt vernünftige beige BHs, die sonst nur blinde, achtzigjährige Nonnen anziehen würden. Dazu eine weiße Schürze.
»Ich finde das Messer scharf und zackig.«
Sie seufzte. Ich hatte sie enttäuscht.
Ich ging in die große Kabine. Janies Hausboot liegt an einem ruhigen Abschnitt des Willamette River, doch vom Vorderdeck aus kann man die Hochhäuser von Portland noch sehen. Die Fenster sind kabinenhoch, und direkt davor zieht der Fluss vorbei, ebenso wie Gewitter, Enten, Jet-Skis, Kanus und betrunkene Bootsfahrer.
Durch den Regen sah alles grau und verschwommen aus.
»Aber meinst du, es flößt genug Schrecken ein?«
Ich drehte mich zu ihr um. »Doch. Es hat mich zu Tode erschreckt.«
Janie hatte weiße Spitzendeckchen auf dem Tisch und Plastikschonbezüge über ihren rosa Stühlen. Ihre Vorhänge waren rosa geblümt, und jeden Nachmittag nahm sie ihren Tee zu sich – Tee mit Scones, Sahne, Honig und Zucker … wie die Briten. Sie hörte klassische Musik und las Romane wie Jane Eyre . Wenn sie mal schräg drauf war, legte sie etwas von dem Cellisten Yo-Yo Ma auf. Sie nahm immer einen Bissen von den Scones und vier Schluck Tee. Einen Bissen, vier Schluck Tee.
Wenn sie mit ihrem Tee fertig war, setzte sie sich wieder hin und quetschte Menschen mit elektrischen Viehtreibern die Gedärme aus dem Bauch.
»Weißt du was? Der nächste Mörder in meinem Buch ist eine Oma. Sie hat es auf Mütter abgesehen«, erklärte Janie. »Sie hat ihre eigene Mutter gehasst, denn die hat sie immer zum Arbeiten gezwungen, im Wandschrank eingesperrt und in einem schmuddeligen weißen Wohnwagen quer durchs Land kutschiert. Die Mutter arbeitete in einer Bar. Die Kinder hatten Läuse.«
Ich unterbrach sie: »Na, das ist ja mal ganz was Neues, Janie. Was ganz Besonderes. Meinst du, sie merkt nicht, wer gemeint ist?«
»Ich habe doch den Namen geändert«, gab Janie mit gewissem Trotz zurück. »Und wir wurden nie im Wandschrank eingesperrt. Wir haben uns ganz von allein reingesetzt. Um uns zu verstecken.«
Ich stemmte die Hände in die Hüften und schaute zur Decke, stellte mir vor, was passieren würde, wenn sie das Buch irgendwann in die Hände bekäme. Mann, das würde heftig werden.
»Und …«, ergänzte Janie und stach mit dem Messer in die Luft. »Die Großmutter in meinem Buch hat weißes Haar, arbeitet umsonst im Lädchen des Krankenhauses, aber nachts … nachts hackt und schlitzt sie sich nur so durch die Gegend.«
Ich stöhnte. »Muss das so anschaulich sein?«
Janie legte das Messer zurück in einen Behälter auf dem Küchentresen, klappte ihn zu und klopfte viermal darauf. »Ja. Gut. Schön. Schön. «
Ich überhörte ihren Tonfall.
Janie betastete ihren Haarknoten. »Diese Großmutter macht mir Angst. Als ich heute Morgen um 2:02 Uhr fertig war mit dem Schreiben, hab ich mich in meinem eigenen Wandschrank versteckt.«
»Die Frau, die du selbst geschaffen hast, macht dir Angst?« Junge, Junge! »Obwohl sie nur in deinem Kopf existiert, versteckst du dich vor ihr im Wandschrank?«
Janie starrte ins Leere. Ich wusste, dass sie vier Sekunden abwartete, ehe sie meine Frage beantwortete. Woher diese Fixierung auf die Zahl vier? Ich hatte keine Ahnung. Janie ebenso wenig. Irgendwann hatte sie mal gesagt, es sei die magische Zahl in
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