Rosen des Lebens
Uhr zurückkam,
setzte er sich unverzüglich zum Essen. Nachdem er geendet hatte, erhob er sich mit entschlossener Miene und begab sich samt
großem Gefolge in die Gemächer seiner Mutter. Inzwischen war es elf Uhr, und die Königinmutter, noch zu Bett, plauderte mit
ihren Damen.
Das Alter, üppiges Essen und ausgedehnter Schlaf – sie hielt auch im Winter Siesta –, hatten ihre Züge vergröbert, die ohnehin
nie fein waren. Von ihrer engen, gewölbten Stirn bis zu dem schweren, vorstehenden Unterkiefer, ein Habsburger Erbe, ja bis
hin zu ihren fahlen, zornmütigen kleinen Augen sprach aus diesem Gesicht nichts wie Dünkel und Starrsinn. Obwohl noch im Négligé,
trug sie doch all ihren Schmuck, um den Hals drei, vier Schnüre großer Perlen, die an sich wunderschön waren, aber die auch
das Doppelkinn betonten, das man lieber übersehen hätte. In blaßblaue Kissen gelehnt, die ihrem mit Kunst blond gehaltenen
Haar schmeicheln sollten, thronte sie mehr, als sie saß. Und ebenso prüde wie ungeniert stellte sie, von venezianischen Spitzen
kaum verhüllt, einen Busen zur Schau, wie ihn, jedenfalls an Ausmaßen, keine Dame des Hofes aufzuweisen hatte.
|392| »Madame«, sagte der König, nachdem er sie gegrüßt hatte, »ich habe einen Eurer Diener zur Führung der Geschäfte erwählt, auf
daß die Welt erkenne, daß ich mit Euch in vollem Vertrauen leben will, und nicht nur zum Schein, sondern wahrhaftig.«
»Ach, mein Sohn!« sagte die Königinmutter und legte die Hand auf ihr Herz.
Mehr brachte sie nicht heraus, ihr Gesicht erstrahlte vor unsäglicher Genugtuung. Und seltsam, obwohl ich ihr wenig zugetan
war, weil sie meinen geliebten kleinen König von Kind auf so unwürdig behandelt hatte, flößte mir diese unerhörte, einfältige
Heiterkeit, die sich mit einemmal auf ihrem großen Gesicht malte, ein gewisses Mitleid mit ihr ein. Denn natürlich glaubte
sie, begriffsstutzig, wie sie war, nun da sie Richelieu an die Geschäfte gebracht hatte, könnte sie sozusagen die Zeit zurückdrehen
und wie früher Regentin und Alleinherrscherin sein im Reich. Mein Gott, dachte ich, wie sie sich irrt! Wie schlecht sie ihren
Sohn kennt! Und wieviel schlechter erst Richelieu!
Ob der König nun verstand, welche Gefühle seine Mutter bewesten, oder nicht, weiß ich nicht, denn nachdem er ihr besagte knappe
Erklärung gemacht hatte, fügte er nichts weiter hinzu, sondern grüßte die Königin aufs neue und ging mit einer abrupten Kehrtwendung
davon.
Am selben Nachmittag, um zwei Uhr, empfing der König den Kardinal Richelieu im Kronrat.
Ich hatte den Prälaten seit Angoulême nicht mehr gesehen, aber ich fand ihn kaum verändert, nur daß er die violette Robe des
Bischofs gegen die Purpurrobe des Kardinals eingetauscht hatte, die ihm übrigens stand, als sei sie ihm angeboren.
Er war ebenso gepflegt wie bei unserer ersten Begegnung. Sorgsam hatte der Barbier die Partien um seinen Schnurrbart rasiert
und dessen Spitzen verwegen gezwirbelt. Mir fiel auf, wie blaß sein mageres, dreieckiges Gesicht – betont noch durch den Spitzbart
–, im Kontrast zu seinen großen schwarzen Augen wirkte, die dadurch noch dunkler und glänzender erschienen und die in kürzestem
so vieles auszudrücken vermochten und blitzschnell von der geistlichen Sanftmut zum bissigsten Sarkasmus wechseln konnten.
Ich war nie mit ihm allein gewesen und konnte darum nicht |393| sagen, ob er so groß war, wie er aussah, jedenfalls machte er den Eindruck einer schlanken und geschmeidigen Eleganz, die
an einen Degen gemahnte. Wenn er etwas ausdrücken oder darstellen wollte, gebrauchte er, wenn auch mit Maßen, dazu seine langen,
weißen und sehr gepflegten Hände: die Hände eines Magiers, möchte man sagen, so stark trugen sie dazu bei, die Dinge sichtbar
zu machen, von denen er seinen Zuhörer überzeugen wollte. Seine Stimme konnte hoch oder tief sein, sie gebot über unendliche
Modulationen und Nuancen, überhaupt ging von seiner ganzen Person ein Zauber, eine Zielstrebigkeit und eine Autorität aus,
wie ich sie noch bei keinem anderen Menschen beobachtet habe.
Er begann damit, dem König zu danken, daß er sich auf Empfehlung von Monsieur de La Vieuville für ihn entschieden habe. »Aber«,
fuhr er fort, »ich denke nicht, daß ich diese Wahl annehmen muß, denn hat Gott mir auch einige Gaben und Geisteskraft geschenkt,
ist mein Körper doch so anfällig, daß er dem Lärm und dem Trubel der
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