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Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken

Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken

Titel: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Ellis
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man nun, man kennt seine Stadt«, antwortete sie. »Man denkt, man kennt die Leute hier und ihre Ansichten und hält sie für anständig. Und dann so was.«
    Â»Was denn?«, fragte ich wieder.
    Â»Ich habe zehn Leute aus unserer Gemeinde angerufen, zehn Leute, die die Familie White schon kennen, seit sie hergezogen sind. Aber keiner von denen will mit mir zur Polizei kommen.«
    Â»Du willst zur Polizei?«
    Â»Und dann noch dieser Reverend Fleet! Der hat nur gemeint, dass er für sie beten wird!«
    Â»Ist doch sein Job, oder?«
    Â»Sein Job ist es, mit mir zur Polizeiwache zu gehen und was gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit zu unternehmen. Aber wahrscheinlich könnte Jesus persönlich in dieser Gefängniszelle sitzen, ohne dass dieser Fleet auch nur einen Finger für ihn krumm machen würde. Das hab ich ihm auch gesagt. Und weißt du, was er mir geantwortet hat? ›Kathy Glass gehört aber auch zu unserer Gemeinde.‹ Als ob das eine was mit dem anderen zu tun hätte!«
    Ich biss ein Stück von meinem Sandwich ab. Die Erdnussbutter bildete einen Klumpen in meinem Mund. Ich musste ihn mit einem großen Schluck Milch runterspülen.
    Â»Was Casey wohl zum Mittagessen kriegt?«, sagte ich. »Vielleicht könnten wir ihr ja ein paar Brote hinbringen.«
    Mom sah mich mit ihrem durchdringenden Blick an. »Jessica Jude, das scheint dir ja alles nicht besonders nahezugehen. Wieso eigentlich?«
    Â»Das geht mir schon nahe«, antwortete ich. »Ich bin nur … noch ganz verwirrt, das ist alles.«
    Â»Na, dann entwirr dich mal schleunigst«, fuhr sie mich an. »Eine verwirrte Freundin hilft Casey nämlich jetzt auch nicht weiter.«
    Mom wandte sich wieder dem Telefonbuch zu.
    Ich aß mein Sandwich auf und hörte zu, wie sie weitere Leute zu überreden versuchte, mit zur Polizeiwache zu kommen. Sie konnte allerdings nicht so ganz deutlich machen, was sie dort eigentlich wollte, außer Caseys sofortige Freilassung zu fordern. Das klang alles reichlich planlos, aber so war Mom eben.
    Natürlich erreichte sie nichts.
    Â»Wir brauchen einen Spitznamen für dich«, meint Casey irgendwann zu mir, als wir gerade auf der Wiese neben dem Schulhof spielen. Sie beobachtet eine blaue Libelle, die sich auf ihrem Arm niedergelassen hat. »Was magst du denn besonders gerne?«
    Ich weiß es nicht. Ich interessiere mich eigentlich für nichts so besonders. Ich nehme die Tage einfach so, wie sie kommen.
    Als ich nicht antworte, sieht sie mich an.
    Â»Guck mal, du hast genau die gleiche Farbe an«, sagt sie.
    Ich verstehe nicht, was sie meint, und schaue zur Libelle. Sie hat recht. Genau der gleiche Blauton.
    Â»Wir könnten dich Libelle nennen«, schlägt sie vor.
    Und so wird Libelle mein Spitzname.
    Mitten in der Nacht wachte ich auf, es war noch stockdunkel. Mein Wecker zeigte zwei Uhr morgens an, und ich versuchte wieder einzuschlafen, aber ich fand einfach keine Ruhe.
    Fahr eine Runde mit dem Rad, sagte eine Stimme in meinem Kopf immer wieder. Ich versuchte es erst mal mit Lesen, aber das brachte die Stimme auch nicht zum Schweigen. Da ich keine Lust mehr hatte, dagegen anzukämpfen, stieg ich aus dem Bett und zog mich an.
    Mom hat einen extrem leichten Schlaf, selbst wenn sie nicht krank ist. Ich wollte sie auf keinen Fall aufwecken. Bei jedem Knarren im Fußboden erstarrte ich, schaffte es aber nach draußen, ohne dass sie aus ihrem Zimmer kam.
    Noch nie war ich so früh am Morgen mit dem Rad unterwegs gewesen. Es war ganz still in der Stadt. Ich fuhr durch die Straßen und kam mir vor, als wäre ich der einzige wache Mensch auf der ganzen Welt.
    Ich fuhr zur Polizeiwache und kreiste dann an der Stelle, wo Casey in Haft saß. Ich stellte mir vor, wie sie an eine Kerkerwand gekettet war. Dann sah ich sie vor mir, wie sie so interessiert die Flöhe und Läuse in der Zelle beobachtete, dass sie die Ketten gar nicht registrierte. Bei dieser Vorstellung musste ich lächeln.
    Dann wurde mir bewusst, was das für ein Gefühl war, das mir schon die ganze Zeit zugesetzt hatte, seit sie Casey abgeführt hatten.
    Für mich war alles beim Alten geblieben, im öden Galloway. Casey dagegen wurde plötzlich herausgerissen, weg von mir, hin zu etwas ganz und gar Neuem. Während ich meine Pflichten zu erledigen und mich auf die Schule vorzubereiten hatte, erlebte sie etwas total Aufregendes und

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