Rosendorn
zu finden – er war der einzige Seamus Stuart in dem Verzeichnis gewesen. Und als ich angerufen und ihn gefragt hatte, ob er jemanden mit dem Namen meiner Mutter kennen würde, hatte er sofort zugegeben, einmal eine Freundin mit dem Namen gehabt zu haben. In dem Moment war ich mir sicher gewesen, den richtigen Mann gefunden zu haben.
Schon bei unserem ersten Telefonat hatte er mich gefragt, ob ich ihn in Avalon besuchen kommen würde. Er hatte mir sogar ein Erste-Klasse-Ticket nach London spendiert. Und kein einziges Mal hatte er gefragt, ob er mit Mom reden könne oder ob ich überhaupt die Erlaubnis hätte, zu ihm zu kommen. Zuerst hatte mich das überrascht, doch dann hatte ich eingesehen, dass Mom recht gehabt hatte: Wenn er mich gefunden hätte, dann hätte er mich, ohne zu zögern, nach Avalon gelockt.
Aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, ermahnte ich mich.
Das Flugzeug setzte mit quietschenden Reifen unsanft auf der Rollbahn auf. Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen. Es würde vermutlich noch einige Stunden dauern, ehe ich meinem Vater tatsächlich gegenüberstünde. Da er ursprünglich aus Faerie stammt, kann er die Welt der Sterblichen nicht betreten. (Falls er sich also entschlossen haben sollte, mich zu entführen, würde er dafür menschliche Komplizen brauchen.) Die einzigartige Magie von Avalon besteht darin, dass die Stadt in Faerie und in der menschlichen Welt existiert – der einzige Ort, an dem die beiden Ebenen des Daseins sich überschneiden. Wenn mein Vater an der Grenze der Stadt steht und hinausblickt, sieht er Faerie, und wenn er die Grenze überschreitet, können wir, die wir in der Welt der Sterblichen leben, ihn nicht mehr sehen.
Er hatte einen seiner menschlichen Freunde gebeten, mich am Londoner Flughafen abzuholen und nach Avalon zu bringen. Erst dort würde ich ihn treffen können.
Wie benebelt ließ ich das Einreiseverfahren und den Zoll in London über mich ergehen. Ich war zu aufgeregt und nervös gewesen, um im Flugzeug schlafen zu können, und jetzt holte mich die Müdigkeit ein. Mechanisch ging ich den anderen Fluggästen am Boden Richtung Ausgang und Abfahrtsbereich hinterher und hielt in dem Meer von Plakaten mit Namen Ausschau nach meinem.
Ich konnte ihn nicht finden.
Noch einmal betrachtete ich die Schilder, las jedes Plakat genau durch, falls mein Name falsch geschrieben war und ich ihn deshalb zuerst übersehen hatte. Doch die Zahl der Fahrer schrumpfte zusehends, und niemand hielt ein Schild mit meinem Namen in die Höhe. Ich biss mir auf die Unterlippe und sah auf meine Uhr, die ich schon auf die Londoner Zeit umgestellt hatte. Es war 8 : 23 Uhr am Morgen, und als ich das letzte Mal mit Dad gesprochen hatte, hatte er geschätzt, dass ich bei pünktlicher Landung die Zollkontrolle um 8 : 15 Uhr passiert haben müsste. Sein Freund sollte also eigentlich hier sein.
Wieder atmete ich tief durch und ermahnte mich, ruhig zu bleiben. Dads Freund war erst acht Minuten zu spät. Kein Grund, in Panik zu verfallen. Ich fand einen gemütlichen Sitzplatz in der Nähe der Türen und ließ meinen Blick in der Hoffnung schweifen, jemanden zu entdecken, der ins Terminal gehetzt kam und sich hektisch umschaute. Von solchen Leuten sah ich viele, aber keiner von ihnen hatte ein Schild mit meinem Namen darauf bei sich.
Als es 8 : 45 Uhr wurde und noch immer keine Spur von meiner Mitfahrgelegenheit zu sehen war, entschied ich, dass ich nun doch ein wenig beunruhigt sein durfte. Ich schaltete mein Handy ein, um Dad anzurufen, und stellte fest, dass ich kein Netz bekam. Erst jetzt und viel zu spät fragte ich mich, ob amerikanische Handys in London eigentlich funktionierten. Wieder schluckte ich meine Panik hinunter. Dad hatte mir ein hübsches Kennenlern-Geschenk gemacht – eine Kamee in Form einer weißen Rose, die ich an einer Kette um den Hals trug. Ich ertappte mich dabei, wie ich sie nun nervös befingerte.
Ich war in meinem Leben bereits auf vielen Flughäfen gewesen, und nach einem ausreichend langen Flug war meine Mutter bei der Landung jedes Mal total besoffen gewesen. Selbst mit erst acht Jahren hatte ich Mom schon durch den Flughafen gelotst, unser Gepäck geholt und ein Taxi organisiert, das uns an unser Ziel gebracht hatte. Zugegeben, der exotischste Ort, an dem ich das hatte tun müssen, war Kanada gewesen. Aber verdammt, das hier war England und nicht Indien.
Mach dir nichts draus, sagte ich mir und fand eine Reihe von
Weitere Kostenlose Bücher