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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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die Einfahrt. Und als ich dort war, hörte ich dieses Singen, nein, eher ein Summen. Ich folgte dem Geräusch und entdeckte sie in der Kurve,gleich hinter der Stelle, an der die Fox Hill Road zum Fox Hill Way wird. Sie hatte die Augen geschlossen und ihre Arme seitlich ausgestreckt. Ihre Handflächen zeigten nach oben, als würde sie auf eine Erleuchtung warten oder so. Und sie summte diesen Song, ›Sweet Dreams Are Made of This‹. Kennst du den?«
    Ich nickte und erschauderte bei dem Titel, auch wenn ich nicht wusste, warum.
    »Als ich näher kam, sah ich, dass sie ihre Kopfhörer aufhatte, deshalb hörte sie mich nicht kommen. Ich hatte keine Ahnung, was sie da machte. Wollte sie wieder zu meinem Bruder? Wartete sie, bis mein Dad später nach einigen Bieren auf der Couch eingepennt wäre? Damit sie wieder mit Joe knutschen konnte? Aber wieso hockte sie mitten auf der Straße? Na ja, nicht mitten auf der Straße. Hätte sie in der Mitte gesessen, wäre sie schon vor der Biegung zu sehen gewesen. Stattdessen saß sie ein bisschen seitlich, dort, wo sie keiner, der zufällig um die Ecke kam, entdecken konnte.
    Doch ich habe es erst begriffen, nachdem ich gelesen hatte, was sie geschrieben hatte: Sie forderte ihr Schicksal heraus. Sie riskierte, überfahren zu werden, weil sie dachte, dass sie vielleicht lieber sterben wollte. Natürlich dachte sie nicht an denjenigen, der sie unabsichtlich überfahren würde. Stattdessen dachte sie nur an sich selbst und ihr eigenes Drama. Als würde Brian dadurch wieder gesund, dass sie sich überfahren ließ. Als würde es irgendetwas wiedergutmachen. Wer denkt denn so? Wer ist denn so selbstsüchtig? Wer ist denn so wahnsinnig?«
    Das war keine richtige Frage, und doch hatte ich eine Antwort: ein verwirrter Teenager, wer sonst? Ein Teenager, der mit einer sehr erwachsenen Schuld konfrontiert wird unddamit nicht umgehen kann. Also beging Rose Verzweiflungstaten – wenn auch seltsam unreife. Trank sich praktisch ins Koma. Bat Joe um Pillen. Forderte das Schicksal heraus, in dem sie sich in eine nicht einsehbare Kurve hockte. So, wie ich mein Schicksal herausgefordert hatte, nur war ihr Vorgehen riskanter gewesen – und hatte offensichtlich anders geendet.
    Die Verzweiflung, die dahintersteckte, tat mir fast körperlich weh, die Dummheit war mir vertraut. Plötzlich wurde mir flau im Magen. Ich blieb stehen und hielt mich am Zaun fest, um nicht umzukippen.
    »Hat sie jemand angefahren, Toby?«
    »Nicht an dem Abend, an dem ich draußen war. Da noch nicht. Und ich wusste es jahrelang nicht. Ich wusste nicht, was genau passiert war. Aber ein paar Tage später ... muss sie es wieder getan haben.«
    »Toby?«, fragte ich matt.
    Die Wellenbewegungen des Laubs machten mich auf einmal schwindelig. Sie schwollen unter einer besonders starken Windböe an, und beinahe rechnete ich damit, dass die Sträucher uns überrollen würden.
    »Ja?«
    Ich fühlte seinen Arm an meinem Ellbogen.
    »War es Joe?«, brachte ich mühsam hervor.
    »Joe hatte damals noch gar kein Auto«, antwortete Toby und setzte sich hinunter auf den Lehmboden, damit er etwas Sonne abbekam. »Meistens kam er abends zu Fuß von der Arbeit nach Hause, oder Dad holte ihn ab.«
    »Aha.« Ich ging in die Knie und setzte mich neben ihn.
    Toby blinzelte mich an. Er wartete auf meine nächste Frage.
    »War es dein Dad?«
    Tobys Gesicht war wie versteinert. Bevor er das beantwortete, schaute er sich um.
    »Ja«, sagte er dann.
    Mehrere Minuten lang saßen wir schweigend nebeneinander.
    »Kurz nachdem ich sie gesehen hatte, an dem Tag, als sie verschwand, kam sie abends zu uns, nachdem sie auf euch beide aufgepasst hatte. Sie fragte nach Joe, doch ich war allein zu Hause. Als ich ihr sagte, dass er noch arbeite, ging sie wieder. Und dann, eine Stunde später, kam mein Dad nach Hause. Da war es schon dunkel. Und er kam ins Haus gerannt und schrie: ›Toby, geh nicht nach draußen! Geh nicht raus, Toby!‹ Und dann: ›Ruf Mrs. Reed an!‹ Ich habe eure Nummer gewählt, aber da rief er schon: ›Nein, ruf sie nicht an! Lass es, Toby! Ruf sie nicht an!‹ Also legte ich wieder auf. Dann wollte er, dass ich die Notrufnummer wähle, aber noch bevor ich das tun konnte, überlegte er es sich schon wieder anders. Er sagte bloß: ›Geh nicht raus, Toby‹, wieder und wieder, wie ein Irrer. Erst nach einer halben Stunde hörte er damit auf. Und ein paar Stunden später war er wieder wie immer, glotzte einfach nur auf den Fernseher, wie er es

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