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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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dich nach oben bringt. Hat dir der Lehrer beigebracht.
Im Winter sehen tote Hirsche aus wie Knochen, doch im Sommer bläht sich’s unter
ihrem Fell. Bakterien. Die Kälte hält sie nieder, aber letzten Endes kriegen
sie dich doch.
    Du schaffst das, dachte er. Jetzt reg dich ab.
    Aber natürlich wusste er noch, wie ihn Poe da rausgezogen hatte, wie
er zu ihm sagte, »Wollte bloß mal wissen, wie sich’s anfühlt, und sonst
nichts«. Ein einfaches Experiment. Dann lag er unter Bäumen, es war dunkel, und
er rannte, schlammbedeckt, er rumpelte durch Fangeisen und Farnbetten, ein
Rauschen in den Ohren, und kam wieder raus auf irgendeinem Feld. Das trockene
Laub knisterte; ihm war schon so lang kalt, dass er die Kälte nicht mehr spürte.
Das, er wusste es, das war das Ende. Aber Poe hatte ihn wieder eingeholt.
    »Es tut mir leid«, sagte er jetzt zu Poe, »wegen vorhin, mit deinem
Dad.«
    »Mir scheißegal«, sagte Poe.
    »Wollen wir so weitergehen?«
    »Wie?«
    »Ohne zu reden.«
    »Vielleicht bin ich grad nur traurig.«
    »Vielleicht musst du dich bloß mal zusammenreißen.« Isaac grinste,
doch Poe blieb ernst.
    »Manche von uns haben noch ihr ganzes Leben vor sich. Andere dagegen
–«
    »Du kannst machen, was du willst.«
    »Lass stecken«, sagte Poe.
    Isaac ließ ihn vorausgehen. Der Wind frischte auf, zerrte an den
Kleidern.
    »Kannst du weitergehen, auch wenn gleich das Unwetter kommt?«
    »Nicht so richtig«, sagte Poe.
    »Wir kommen bald zu einem alten Werk, sobald wir aus dem Wald raus
sind. Da können wir so lange warten, bis es abgezogen ist.«
    Der Fluss war zehn, zwölf Meter links von ihnen, weiter vorn liefen
die Gleise parallel zu einem ausgedehnten Überschwemmungsgebiet, wo das Gras
hellgrün vorm Hintergrund der aufziehenden schwarzen Wolken leuchtete. Inmitten
einer Wiese standen Güterwaggons, fast verschluckt vom wilden Rosendickicht. An
dem einen Ende des Überschwemmungsgebietes lag die Standard-Steel -Waggonfabrik,
er war schon einmal drin gewesen, das Gebäude halb verfallen, haufenweise
Backsteine und Holzbalken auf alten Glühöfen und hydraulischen Pressen, überall
wucherten Moos und Kletterpflanzen. Trotz der Trümmer war es drinnen weiträumig
und offen. Jede Menge Souvenirs. Das alte Namensschild, das du mal Lee
geschenkt hast, von dem großen Hammerofen abgepult, das Angelaufene poliert und
dann geölt. Geringfügiger Vandalismus. Nein, denk an die vielen Leute, deren
Stolz diese Maschinen waren, rette ein paar Einzelteile davon – für ein bisschen
Leben nach dem Tod. Lee hat es über ihrem Schreibtisch aufgehängt, du hast es
dort gesehen, als du in New Haven warst. Inzwischen zieht der Regen schnell
heran. Das wird gleich kalt und nass. Ein schlechter Anfang für die Reise.
    »Himmel«, sagte Poe, es fing grad an zu regnen, »die Fabrik hat
nicht einmal ein Dach. Bei deinem Glück hätt ich’s mir denken können.«
    Isaac zeigte auf ein Gebäude: »Das da hinten sieht viel besser aus.«
    »Kann’s kaum erwarten.«
    Isaac ging vor; Poe hatte üble Laune, aber keine Ahnung, was dagegen
half.
    Sie nahmen einen Wildpfad mitten durch die Wiese. Hinterm Hauptgebäude
der Fabrik war jetzt das kleinere zu sehen, halb verborgen unter Bäumen,
dunkel, Schatten. Oder Schutz, dachte er. Ein viel kleinerer Backsteinbau als
das Hauptgebäude, ungefähr so groß wie eine größere Werkstatt, die Fenster zugenagelt,
aber mit intaktem Dach. Obwohl der Bau stark von Schlingpflanzen überwuchert
war, erreichte man ihn über einen freigeschnittenen Weg durchs Gras. Der Regen
fegte über sie hinweg, sie fingen an zu rennen, und vor dem Gebäude angekommen,
rammte Poe mit seiner Schulter gegen die Tür. Doch sie schwang nach innen, ohne
großen Widerstand.
    Drinnen war es dunkel, es sah nach Maschinenhalle aus: etwa ein
Dutzend Drehbänke und Fräsen, ein Gerüst und eine Reihe Schleifmaschinenständer,
um die Werkzeugteile zu bearbeiten, obwohl die Schleifmaschinen fehlten, wie
den Drehbänken Spannfutter und Quervorschub fehlten, alles, was nicht niet- und
nagelfest war. Leere Flaschen Billigwein lagen herum und haufenweise Bierdosen.
Ein alter Holzofen und frische Feuerspuren.
    »Himmel noch mal. Stinkt, als wären unter diesem Fußboden zehn
Penner abgenippelt.«
    »Wird schon«, sagte Isaac. »Ich mache uns ein Feuer, dass wir
trocken werden.«
    »Guck dir das mal an, ein Pennerhotel; stapelweise Holz und so.«
    »Willkommen. Das ist meine neue Welt.«
    »Ich bitte dich, ja«, schnaubte Poe,

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