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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Blutwurz
Steinbrech Nachtschatten. Bitternuss und Zürgelbaum. Schuppenrinde, Sumpfeiche.
Heuschrecke und Königsnuss. Genug, dass dein Kopf sich nicht langweilt.
    Währenddessen, direkt über dir, ein dünner blauer Himmel, schau
hindurch bis in das Weltall: in das letzte große Rätsel. Die Entfernung wie
nach Pittsburgh – ein paar Kilometer Luft, dann 400 Grad minus, eine zarte Decke. Reines Glück. Du dürftest eigentlich gar nicht am
Leben sein – denk drüber nach, Watson. Das kannst du öffentlich nicht sagen,
sonst droht dir die Zwangsjacke.
    Nur, irgendwann ist Schluss mit Glück – die Sonne wird zu einem
roten Riesen und die Erde wird im Stück gebraten. Hat’s gegeben, hat’s
genommen. Die gesamte Menschheit müsste umziehen, bevor es dazu kommt, nur
Physiker könnten herausfinden wie, und sie wären diejenigen, die Leute retten
würden. Klar, bis dahin wäre er längst tot. Zumindest hätte er dann seinen
Beitrag geleistet. Totsein entbindet dich nicht der Verantwortung dem Leben
gegenüber. Wenn er eines sicher wusste, dann war’s das.
    ***
    Poe wohnte am Ende einer Schotterstraße, und sein
doppelbreiter Trailer thronte, so wie viele Häuser außerhalb der Stadt, auf
einem großen Waldstück. Achtzig Morgen waren es in diesem Fall, das gab ein
Pioniergefühl, als wäre man der letzte Mensch auf Erden und geschützt durch all
die grünen Hügel und Senken.
    Ein schlammbespritzter Allrader stand auf dem Vorplatz neben Poes
altem Camaro mit Dreitausend-Dollar-Anstrich und zerschrotetem Getriebe.
Blechhütten in unterschiedlichen Zerfallsstadien, eine mit dem Nummer- 3 -Dale-Earnhardt-Wimpel, und ein Holzpfosten zum Aufhängen
von Wildbret. Poe saß auf der Hügelkuppe und betrachtete den Fluss aus seinem
Klappstuhl. Wenn du’s hinkriegst, deine Hypothek zu tilgen, hieß es immer,
kannst du hier ein Leben führen wie bei Gott gleich hinterm Haus.
    Die ganze Stadt erwartete, Poe ginge bald aufs College, um weiter
Football zu spielen, zwar kein Kandidat für die zehn großen Sportunis, aber
doch gut genug für irgendeine, bloß dass er zwei Jahre später immer noch hier
hockte, in dem Trailer seiner Mutter wohnte und so aussah, als hätte er vor,
Holz zu hacken. Nur diese Woche noch, oder die nächste. Ein Jahr älter als
Isaac und den Gipfel seines Ruhms schon hinter sich, ein Dutzend leere
Bierdosen zu seinen Füßen. Er war groß und breit, quadratschädelig, wog mit
hundertzehn Kilo mehr als das Doppelte von Isaac. Als er ihn kommen sah, sagte
Poe:
    »Werden wir dich jetzt endgültig los?«
    »Nur keinen Heulkrampf.« Er sah sich suchend um. »Und wo ist dein
Gepäck?« Er war erleichtert, Poe zu sehen, eine Ablenkung von dem gestohlenen
Geld in der Tasche.
    Poe grinste und trank einen Schluck von seinem Bier. Er hatte tagelang
nicht mehr geduscht – nachdem der Eisenwarenladen in der Stadt die Öffnungszeiten
verkürzt hatte, war er entlassen worden, und seine Walmart-Bewerbung schob er
vor sich her.
    »Von wegen Mitkommen, ich hab ja alles Mögliche, worum ich mich
jetzt kümmern muss.« Er wedelte pauschal in Richtungwogende Hügel und
Wälder in der Ferne. »Keine Zeit für deine Spritztour.«
    »Du bist echt ein Feigling, oder?«
    »Gott, du willst doch nicht im Ernst, dass ich dabei bin, Hirni.«
    »Ist mir wurscht, so oder so«, teilte ihm Isaac mit.
    »Mal ganz egoistisch formuliert, bin ich ja immer noch auf Bewährung.
Da sollt ich lieber Tankstellen ausrauben.«
    »Ganz bestimmt.«
    »Du machst mir keine Schuldgefühle. Trink ein Bier und setz dich
hin.«
    »Ich habe keine Zeit.«
    Poe schaute sich entnervt um, aber schließlich stand er auf, trank
aus, zerdrückte die Bierdose. »Schön«, sagte er. »Ich komm mit, bis zu dem Conrail -Depot in der Stadt. Ab da bist du allein.«
    ***
    Von weitem hätten sie, der Größe wegen, Vater und Sohn sein können.
Poe mit seiner wuchtigen Kieferpartie, den kleinen Augen und, zwei Jahre nach
Schulabgang, immer noch in Nylon-Footballjacke, vorn sein Name und die
Spielernummer drauf, hinten Buell Eagles . Isaac
dagegen klein und schmächtig, seine Augen viel zu groß für das Gesicht, die
Kleider auch, der alte Rucksack vollgestopft mit Schlafsack, Wechselwäsche,
Kladden. Sie gingen den schmalen Feldweg bis zum Fluss hinunter, ringsum
meistens Wald und Wiesen, grün und schön in diesen ersten Frühlingswochen. An
der Straße lag ein altes Haus, kopfüber weggekippt in einen Einsturztrichter –
im mittleren Mon-Tal war der Boden oft zerlöchert

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