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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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schlagen. Das schwöre ich bei Gott!«
    Bei diesen Worten wagte er Frau von Rênals Hand zu erfassen und an seine Lippen zu führen.
    Die Geste hatte sie überrascht. Im Nachdenken ward sie betroffen. Es war ein sehr heißer Tag. Deshalb trug sie die Arme bloß, nur von einem Schal bedeckt. Als Julian ihre Hand an seinen Mund zog, war der eine ganz nackt gewesen. Alsbald zürnte sie sich selbst. Es dünkte sie, daß sie viel schneller hätte empört sein müssen.
    In diesem Augenblick trat Herr von Rênal aus seinem Arbeitszimmer. Er hatte die Stimmen gehört. In dem salbungsvollen und väterlichen Ton, den er annahm, wenn er im Amt eine Trauung vollzog, sprach er zu Julian: »Es ist höchst wichtig, daß ich mit Ihnen rede, ehe die Kinder Sie zu sehen bekommen!«
    Damit ließ er Julian in sein Zimmer eintreten. Seine Frau wollte die beiden allein lassen, aber Herr von Rênal hielt sie zurück. Nachdem die Tür geschlossen war, setzte er sich gravitätisch. Sodann begann er: »Der Herr Pfarrer hat mir gesagt, Sie seien ein tüchtiger Mensch. Es wird Sie hier jedermann mit Achtung behandeln, und wenn ich mit Ihnen zufrieden bin, werde ich Ihnen später behilflich sein, damit Sie einen kleinen festen Posten bekommen. Ich will, daß Sie fortan weder mit Ihren Verwandten noch mit Ihren Bekannten verkehren. Das Gehabe dieser Leute ist nichts für meine Kinder. Hier sind zwölf Taler für den ersten Monat! Aber ich verlange Ihr Ehrenwort, daß Ihr Vater keinen Groschen davon bekommt.«
    Der Bürgermeister war auf den alten Sorel schlecht zu sprechen, weil er ihn bei dem Handel doch übertrumpft hatte.
    »Zuvörderst, Herr Sorel... ich habe nämlich den Befehl gegeben, daß Sie hier jedermann mit Herr anzureden hat. Sie werden die Vorteile, in ein vornehmes Hauswesen gekommen zu sein, bald verspüren. Was ich sagen wollte, Herr Sorel: Es schickt sich nicht, daß die Kinder Sie in Hemdsärmeln sehen ... Sind die Dienstboten ihm so begegnet?«
    Die letzte Frage richtete er an seine Frau.
    »Nein, mein Lieber«, erwiderte sie versonnen.
    »Um so besser. Hier, ziehen Sie das mal an!« Er reichte dem erstaunten jungen Mann einen Rock von sich. »So! Jetzt geht's zum Schneider Durand!«
    Als Herr von Rênal mit dem neuen, nunmehr ganz in Schwarz gekleideten Hauslehrer nach einer reichlichen Stunde zurückkam, fand er seine Frau noch immer auf dem nämlichen Flecke sitzen. In Julians Gegenwart fühlte sie sich beruhigt. Während sie ihn musterte, verlor sie jede Angst vor ihm. Julians Gedanken aber weilten nicht bei ihr. Trotz aller seiner Menschen- und Schicksalsverachtung war er in diesem Augenblicke seelisch ein Kind. Es war ihm, als sei in den drei Stunden, seit er voll Hangen und Bangen in der Kirche gesessen, ein jahrelanges Stück Leben vergangen. Da bemerkte er die eisige Miene der Frau von Rênal. Er begriff, daß sie ihm zürnte, weil er ihr die Hand zu küssen gewagt. Aber mit den neuen Kleidern, die so ganz anders waren denn die, die er gewohnt war zu tragen, hatte sich das Gefühl des Stolzes bei ihm eingestellt. Er war über die Maßen erregt, aber gleichzeitig vom Drange beseelt, seine Freude zu verbergen. Dadurch kam etwas Jähes und Halbverrücktes in jede seiner Bewegungen. Frau von Rênal betrachtete ihn voller Erstaunen. Und Herr von Rênal ermahnte ihn: »Würde, Haltung! Das ist die Hauptsache, Herr Sorel! Sonst haben die Kinder keinen Respekt vor Ihnen.«
    »Herr Bürgermeister«, entgegnete Julian, »der neue Anzug beengt mich noch. Als armer Bauernsohn habe ich nur immer Westen getragen. Wenn die Herrschaften gestatten, ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück.«
    Als der Ankömmling verschwunden war, fragte Herr von Rênal seine Frau: »Na, was sagst du zu unsrer neuen Erwerbung?«
    Ohne daß sie es wollte und ohne daß sie sich über das Wie und Warum klar ward, machte Frau von Rênal eine Bewegung, die ihren Mann über ihre wirklichen Empfindungen täuschen sollte.
    »Ich bin durchaus nicht so entzückt wie du von diesem Bauernjungen. Dein Entgegenkommen wird ihn so dreist machen, daß du ihn schon nach ein paar Wochen wieder wegschicken mußt.«
    »So schicken wir ihn eben wieder weg! Die Sache hat uns dann hundert und so und so viel Franken gekostet, aber Verrières hat die Kinder des Herrn von Rênal in Begleitung eines Erziehers gesehen. Besagter Zweck wäre nicht erreicht, wenn ich Julian in seinem Bauernkittel gelassen hätte. Und wenn ich ihn wieder wegschicke, so geht er selbstverständlich ohne

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