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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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kränken.
    Ein Zeitgenosse
    D ie Kinder beteten Julian an. Er liebte sie durchaus nicht. Seine Gedanken waren anderswo. Aber was die Bürschchen auch angeben mochten, er verlor niemals die Geduld. Kalt, streng, gleichgültig, erntete er doch Liebe, weil seine Ankunft immerhin Leben ins Haus gebracht hatte. Er war ein guter Erzieher. Insgeheim aber empfand er nur Haß und Verachtung gegen die gute Gesellschaft, an deren Tisch oder vielmehr an deren Tischende er saß. Letzteres war vielleicht die Begründung seines Hasses und seiner Verachtung. Etliche Male nahm er auch an der Tafel teil, wenn Gäste im Hause waren, wobei er nur unter großer Mühe seinen Haß gegen alles, was ihn umgab, zu verbergen vermochte. Einmal, es war am Ludwigs-Tage, als Valenod im Hause des Bürgermeisters das große Wort führte, hätte sich Julian beinahe verraten. Er rettete sich schnell noch in den Garten, indem er vorgab, er wolle nach den Kindern sehen.
    »Dieses Selbstlob des Spießbürgertums!« knirschte er. »Als ob das Menschentum Höchstes sei! Dabei genießt dieser Valenod Achtung und hündischen Respekt bei den Leuten, obgleich man allgemein weiß, daß er sein Vermögen verdoppelt und verdreifacht hat, seitdem er das Armengut verwaltet! Ich wette, er bereichert sich sogar durch Gelder, die für die Findelkinder bestimmt sind, die unter den andern Elenden heilig sein sollten. Ihr Raubtiere! Ihr Bestien! Ach, ich bin auch so etwas wie ein Findelkind! Mein Vater, meine Brüder, meine ganze Familie, alle hassen sie mich!«
    Etliche Tage zuvor war Julian in dem kleinen Gehölz oberhalb der Stadtpromenade, die Schöne Aussicht genannt, allein, in sein Brevier vertieft, spazierengegangen. Auf dem einsamen Fußwege waren ihm seine beiden Brüder begegnet. Ihnen auszuweichen, war unmöglich. Sein schöner schwarzer Rock, sein gepflegtes Aussehen und am allermeisten seine offenkundige Absonderung reizten den Neid der groben Holzknechte dermaßen, daß sie Julian halbtot schlugen. Ohnmächtig und stark blutend blieb er liegen. Zufällig kam Frau Rênal auf einem Spaziergang mit Herrn Valenod und dem Landrat ebendahin. Als sie Julian am Boden sah, glaubte sie, er sei tot. Das ergriff sie so stark, daß Valenod eifersüchtig wurde.
    Seine Befürchtung war verfrüht. Julian fand Frau von Rênal zwar bildschön, aber er haßte sie gerade ob ihrer Schönheit. Denn diese war die erste Klippe, die das Schifflein seines Glückes bedrohte. Er sprach möglichst wenig mit ihr, um das Feuer zu ersticken, das ihn am ersten Tage verführt hatte, ihr die Hand zu küssen.
    Elise, Frau von Rênals Kammer Jungfer, hatte sich ohne weiteres in den jungen Hauslehrer verliebt. Mehrfach gestand sie es ihrer Herrin.
    Diese Verliebtheit hatte Julian die Feindschaft eines der Diener im Hause eingebracht. Eines Tages hörte er, wie dieser Mensch zu Elise sagte: »Seit dieser dreckige Schulmeister hier ist, bin ich Luft für Sie!«
    Julian verdiente gerade diesen Vorwurf durchaus nicht, aber fortan verdoppelte er die Pflege seines Äußeren. Ohne daß er sich's eingestand, trachtete er danach, ein hübscher Kerl zu sein. Auch Valenods Ingrimm wuchs. Vor möglichst vielen Leuten erklärte er, Julian sei ungemein eitel. Das gezieme sich nicht für einen angehenden Geistlichen. Julian ging wie ein junger Abbé, nur daß er keine Soutane trug.
    Frau von Rênal bemerkte, daß er mehr als früher mit Elise sprach. Es geschah aus Anlaß seiner höchst ärmlichen Garderobe. Er besaß so wenig Leibwäsche, daß er genötigt war, sie in einem fort zur Waschfrau zu schicken. Zu diesen kleinen Besorgungen hatte er Elise nötig. Frau von Rênal, die so übergroße Armut nicht vermutet hatte, war gerührt. Am liebsten hätte sie ihn beschenkt, aber das getraute sie sich nicht. Diese leise Gegenstimme machte sie in ihrer Beziehung zu Julian zum ersten Male vor sich selber stutzig. Bis dahin hatte sie nichts als reine, seelische Freude an ihm gehabt. Der Name Julian war ihr sozusagen eine Bezeichnung des Glückes gewesen.
    Die Kenntnis von seiner Armut lastete auf ihr, und so bat sie ihren Mann, ihm Wäsche zu schenken.
    »Unsinn!« brummte er. »Wozu sollen wir einem Menschen, mit dem wir völlig zufrieden sind und der seine Sache gut macht, etwas schenken? Das wäre doch nur nötig, wenn er zu wünschen übrigließe, um ihn anzustacheln.«
    Diese Auffassung empörte Frau von Rênal. Vor Julians Ankunft hatte sie derlei gar nicht wahrgenommen. Jedesmal, wenn sie jetzt das

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