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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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abzugraben. Es war, gerade als ob Valenod zu den Krämern der Gegend gesagt hätte: Schickt mir eure beiden größten Schafsköpfe  – zu den Juristen: Schickt mir eure zwei größten Ignoranten!  – zu den Medizinern: Nennt mir eure zwei größten Scharlatane!  – Und als er die Unfähigsten von jedem Metier zusammen hatte, hatte er zu ihnen gesagt: Herrschen wir miteinander!
    Herrn von Rênal war dieses Treiben stark zuwider. Zudem hatte die Amtsenthebung des alten Pfarrers Chélan Valenod in Abhängigkeit vom Großvikar von Frilair in Besançon gebracht, der ihm geheimnisvolle Aufträge zukommen ließ. Auf dem Gipfel dieser hinterrückigen Politik hatte er sich unterfangen, den anonymen Brief zu schreiben; und um seine Verlegenheit vollzumachen, äußerte Frau Valenod hartnäckig den Wunsch, Julian ins Haus zu nehmen.
    Dies und andres erfuhr Julian durch Frau von Rênal, die Valenods feindselige Politik ihrem Manne gegenüber sehr wohl durchschaute, während sie beide, Arm in Arm, von Laden zu Laden schlenderten. Schließlich endeten ihre Besorgungen auf der Stadtpromenade, wo sie ein paar Stunden genauso ungestört verbrachten wie in Vergy.
    Währenddem hatten Rênal und Valenod ein kleines Renkontre. Der Bürgermeister sagte Valenod ein paar Grobheiten, die dieser kaltblütig einsteckte. Insgeheim nahm er sich vor, nach Besançon oder nach Paris zu schreiben, um sich sein Armenamt zu erhalten. Eine entscheidende Szene mit seinem ehemaligen Schutzherrn dünkte ihm noch nicht an der Zeit zu sein. Vorläufig riskierte er nur ein paar kleine Unverschämtheiten.
    Im höchsten Unmut stellte sich Herr von Rênal bei den Seinen im verabredeten Gasthof ein. Im Gegensatz zu seiner Hundelaune waren seine Kinder noch nie so vergnügt und munter gewesen. Das erbitterte ihn vollends. Gleich beim Eintreten brummte er in einem Tone, der Eindruck machen sollte: »Ich sehe schon, ich bin meiner Familie lästig.«
    Als einzige Antwort nahm ihn seine Frau beiseite und erklärte ihm, Julian müsse entlassen werden. Die frohen Stunden, die sie eben verlebt, hatten ihr die Ruhe und Sicherheit wiedergegeben, die nötig waren, ihren seit vierzehn Tagen gefaßten Plan zur Verwirklichung zu bringen.
    Sofort nach Tisch fuhr die Familie Rênal nach Vergy zurück. Julian erhielt den Befehl, mitzukommen.
    Am Abend saß alles stumm und still am häuslichen Herde. Das Knistern der glimmenden Buchenhölzer im Kamin gab die einzige Unterhaltung. Durch diese trübselige Stimmung, wie sie in den einträchtiglichsten Familien vorkommt, jubelte plötzlich eins der Kinder: »Es klingelt! Es klingelt!«
    »Zum Donnerwetter! Gewiß irgendeine geschäftliche Schererei!« schimpfte Herr von Rênal.
    Der Diener trat ins Zimmer; hinter ihm ein auffällig schöner Mann mit mächtigem, schwarzem Backenbart.
    »Herr Bürgermeister«, begann er, »ich bin Signor Geronimo. Herr Chevalier von Beauvaisis, Attaché an der Gesandtschaft zu Neapel, hat mir diesen Brief an Sie bei meiner Abreise nach Frankreich eingehändigt. Das ist neun Tage her, setzte er vergnügt hinzu und blickte Frau von Rênal an. »Herr von Beauvaisis, Ihr Herr Vetter, gnädige Frau, ein guter Freund von mir, hat mir erzählt, Sie sprächen Italienisch.«
    Der heitere Sinn des Neapolitaners machte aus dem tristen Abend den allervergnügtesten. Frau von Rênal lud ihn zum Abendessen ein und setzte das ganze Haus in Bewegung. Es war ihr eine erwünschte Gelegenheit, Julian aufzuheitern.
    Signor Geronimo war ein weltberühmter Sänger, ein Mann der besten Gesellschaft, dabei ein sehr lustiger Mensch. Er einte somit Dinge, die in Frankreich unvereinbar sind.
    Nach dem Abendessen sang er mit Frau von Rênal ein kleines Duettino. Sodann erzählte er reizende kleine Geschichten. Es schlug ein Uhr, als Julian die Kinder ermahnte, zu Bett zu gehen. Sie wollten durchaus nicht. »Nur noch eine Geschichte!« bat der Älteste.
    »Und zwar eine aus meinem Leben, Signorino«, sagte der Italiener und begann:
    »Vor acht Jahren war ich Schüler auf dem Conservatorio zu Neapel. War just so alt, wie du bist, nur hatte ich nicht die Ehre, der Sohn des hochwohllöblichen Bürgermeisters einer so hübschen Stadt wie Verrières zu sein.«
    Bei diesem Worte entfuhr Herrn von Rênal ein Seufzer, und ein vielsagender Blick irrte zu seiner Frau hinüber.
    »Signor Zingarelli 25 «, fuhr der junge Sänger fort, und zwar mit einem karikierenden Akzent, bei dem die Kinder, alle drei, auflachten, »Signor Zingareli

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