Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
dich geworfen.«
    Das Frühstück war herrlich. Das Dabeisein der Kinder, ein Umstand, der eigentlich lästig war, erhöhte schließlich die glückliche Stimmung. Die kleinen Wichte waren unerschöpflich, Julian ihre Freude über das Wiedersehen immer wieder zu bekunden. Durch die Dienstboten hatten sie natürlich erfahren, daß Julian zweihundert Franken mehr bekommen sollte, wenn er Hauslehrer bei den Valenodschen Kindern würde.
    Während Stanislaus-Xaver, der von seiner Krankheit her noch recht blaß aussah, seine Brötchen verzehrte, fragte er plötzlich seine Mutter, wieviel sein silbernes Besteck und der Becher, aus dem er gerade trank, wert seien.
    »Warum denn?«
    »Ich will es verkaufen und das Geld Herrn Julian geben. Er soll nicht der Dumme sein, wenn er bei uns bleibt.«
    Tränen in den Augen, gab ihm Julian einen Kuß. Die Mutter weinte tatsächlich. Da nahm er den Jungen auf den Schoß und erklärte ihm, diesen volkstümlichen Ausdruck dürfe man in dem Sinne hier nicht gebrauchen. Und weil er sah, daß Frau von Rênal ihre Freude daran hafte, versuchte er, den Kindern durch anschauliche Beispiele darzulegen, was es heißt: der Dumme sein .
    »Ich verstehe«, meinte Stanislaus. »Der Rabe, der den Käse fallen läßt, den dann der schlaue Fuchs nimmt, der ihm geschmeichelt hat, das ist der Dumme .«
    Überglücklich zog Frau von Rênal den Kleinen an sich und küßte ihn, was nicht möglich war, ohne daß sie sich an Julian anschmiegte.
    Mit einem Male tat sich die Tür auf, und herein trat Herr von Rênal. Seine strengen mißvergnügten Mienen verscheuchten im Nu die fröhliche Stimmung. Frau von Rênal ward blaß. Sie wäre nicht imstande gewesen, auch nur das geringste zu leugnen. Julian ergriff sofort das Wort und erzählte dem Bürgermeister ungeniert die kleine Geschichte von Stanislaus und seinem Becher. Er wußte genau, daß dies seinen Brotherrn verschnupfte. In der Tat zog Herr von Rênal wie immer die Augenbrauen hoch, als das Wort Geld fiel. Es war seine innerste Überzeugung: »Dies Wörtchen ist immer das Signal zum Angriff auf meinen Geldbeutel.«
    Aber hier handelte es sich nicht bloß um Geld. Sein Verdacht wuchs. Die strahlenden Gesichter von Frau und Kindern während seiner Abwesenheit waren nicht angetan, den Argwohn des in seiner Eitelkeit überempfindlichen Mannes zu beseitigen.
    Als Frau von Rênal Julians feine und kluge Art lobte, wie er seinen Schülern neue Begriffe beibrachte, brummte er: »Weiß schon. Er verekelt mich meinen Kindern. Natürlich erscheint er ihnen hundertmal liebenswürdiger als ich, der Herr und Gebieter. In unsrer Zeit geht ja alles darauf aus, die legitime Macht zu untergraben.«
    Frau von Rênal gab sich keine Mühe, über das mißlaunige Benehmen ihres Mannes lange nachzudenken. Die Gewißheit, einen halben Tag mit Julian zu verleben, genügte ihr. Sie hatte eine Menge Besorgungen in der Stadt zu machen und erklärte, sie wolle im Gasthause zu Mittag essen. Der Bürgermeister mochte einwenden, was er wollte: sie blieb dabei. Das Wort Gasthaus versetzte die Kinder in die höchste Freude.
    Am ersten Konfektionsgeschäft trennte sich Herr von Rênal von seiner Frau. Er hatte ein paar Besuche zu machen. Als er zurückkam, war er noch mürrischer als am Morgen. Jetzt war er überzeugt, daß sich die ganze Stadt mit ihm und Julian beschäftigte. Allerdings hatte ihn kein Mensch das Ehrenrührige des Klatsches merken lassen. Mit dem, was man sagte, wollte man lediglich herausbekommen, ob Julian mit sechshundert Franken bei ihm bleiben oder mit achthundert Franken zu Valenod gehen werde.
    Der Bürgermeister und der Armenamtsvorstand, ehedem Verbündete, waren mehr und mehr Rivalen geworden. Wenn sie sich gesellschaftlich begegneten, verhielt sich Valenod sehr zugeknöpft vor Herrn von Rênal. Das war nicht ungeschickt. In der Provinz gibt es überhaupt selten unbesonnene Menschen. Man erlebt wenig, aber um so gründlicher.
    Valenod war ein sogenannter Schwerenöter, etwas typisch Kleinstädtisches, im Grunde ein unverschämter Patron. Im Jahre 1815 emporgekommen, hatte er seine üblen Eigenschaften mehr und mehr entwickelt. Schon bildete er in Verrières sozusagen die Nebenregierung. Aber er war viel betriebsamer als Herr von Rênal, skrupellos, sich in alles mengend, immer auf den Beinen, redselig und schreibgewandt, dickfellig gegen Demütigungen, ohne persönliche Ansprüche. Schließlich hielt er es gar mit den Pfaffen, um seinem Vorgesetzten das Wasser

Weitere Kostenlose Bücher