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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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Atmen hieß, den Tod zu inhalieren. Beim Wagen steckte er neue Batterien in die Kamera und legte einen Film ein. Der Fotoapparat war etwas, woran er sich klammern konnte. Er errichtete eine dünne Wand zwischen ihm und dem Entsetzen.
    Die Bilder würden nicht den Toten, sondern nur Aschenspuren auf dem weißen Kies und die ernsten Gesichter der Gendarmen zeigen. Oder die Absperrung und einen Faden Rauch. Vielleicht Zimmermanns rechten Schuh, der verkohlt unter dem mächtig in der Morgendämmerung ruhenden Heidentor lag. Dieses Mal war es keine Frage der Belichtung, sondern der Pietät. Die wahre Dimension des Grauens war unvermittelbar.
    »He, Sie!«
    Ein Gendarm schrie ihm nach, als Albin zurück zu der Leiche stapfte. Der Mann schien froh zu sein, einem Unbefugten den Zutritt verwehren zu können. Diese Aufgabe war zu bewältigen. Die andere, die stinkend und grausig am Boden lag, war es nicht.
    Albin ließ sich nicht ablenken. Er drückte mehrmals ab. Das Blitzlicht lud sich dank der neuen Batterien binnen Sekunden wieder auf. Nach dem vierten Mal packte ihn der Gendarm an der Schulter und riss ihn zurück.
    Eine Erinnerung an die Tür der Einzelhaftzelle blitzte in Albins Kopf auf. Sich losreißen? Zuschlagen? Wegrennen?
    »Immer mit der Ruhe«, sagte hinter ihnen Damian Bergmann.
    Der Gendarm ließ Albin los.
    »Was machen Sie hier?« Bergmann schnauzte Albin wie einen Fremden an und zwinkerte ihm dabei zu.
    »Ich fotografiere.«
    Bergmann blieb freundlich, als befänden sie sich nicht an einem Tatort, sondern auf dem jährlichen Bonbonball der Wiener Zuckerbäcker. »Für Ihr Familienalbum?«
    Albin hatte sich beruhigt. Er brachte seine Jacke in Ordnung. »Ich bin von der Presse.«
    Er fand, dass er ein schlechter Schauspieler war. Doch der Gendarm merkte nichts. Der freute sich über Albins kleinlauten Tonfall.
    »Wir haben Sie nicht eingeladen«, sagte Bergmann.
    Albin zeigte zur Straße, wo Scheinwerferpaare auftauchten. »Bald werden jede Menge meiner Kollegen hier sein. Wir warten in Mordfällen nicht auf Einladungen.«
    »Bitte halten Sie Abstand«, sagte Bergmann und ging weg, um Anweisungen zum Abtransport der Leiche zu geben.
    »Halten Sie Abstand«, echote der Beamte und verschwand ebenfalls.
    Eines der Scheinwerferpaare gehörte zum Wagen des Leichen-Abholdienstes. Zwei Männer öffneten schon den Leichensack. Die sterblichen Überreste Zimmermanns wurden in das gerichtsmedizinische Institut in Wien gebracht wie schon die beiden anderen zuvor. Zurück blieb nur der beißende Gestank in der Luft. Er durchsetzte die immer weiter herabsinkenden Nachtnebel.
    In einem unbemerkten Augenblick nahm Bergmann Albin beiseite. »Worauf könnte Zimmermann Ihrer Meinung nach gestoßen sein?«
    Albin betrachtete ihn kühl. »Was wissen Sie inzwischen über Olga Dacia?«
    Bergmann zuckte verblüfft zurück.
    Albins Miene blieb starr. »Ich werde vom Report für das Sammeln von Informationen bezahlt.« »Sie lernen erstaunlich schnell. Sind Sie noch böse auf mich?«
    »Sie machen Ihre Arbeit und ich meine.«
    »Olga Dacia hat sich in den letzten Monaten häufig im Ausland aufgehalten.«
    »Was heißt Ausland?«
    »Südeuropa.«
    »Wo genau?«
    »Das wissen wir noch nicht.«
    »Zimmermann hat bei unserem letzten Treffen über ein Romanmanuskript aus seiner Zeit als Verlagslektor geredet. Es war ein Krimi um einen Ritualmörder.«
    »Zimmermanns Zeit als Lektor liegt Jahre zurück. Jetzt macht er in Ferienlagern.«
    Albin zuckte die Schultern.
    »Wir sprechen noch darüber«, sagte Bergmann. »Geben Sie mir Ihr Handy.«
    Albin händigte Bergmann sein altes Gerät aus. Zu verhindern war es ohnedies nicht. Es trug freilich auch nichts zur Verbesserung ihrer Beziehung bei.
    Beim Eintreffen der Journalistenmeute waren im Kies längst nur noch schwarze Brandspuren und die Abdrücke des Toten zu sehen. Die Leute von der Spurensicherung bearbeiteten den Boden. Bergmann schickte drei Mann zur Straße, um die Medienvertreter fern zu halten. Albin gesellte sich zu seinen Kollegen.
    Der Radioreporter eines Privatsenders nestelte ein Mikrofon aus seiner Armeetasche. Er hieß Adrian Sabatello. Albin kannte ihn flüchtig von Pressekonferenzen. Der schwere Mann mit den fettigen Haaren und den Pickeln im Gesicht schnaufte, als wäre er die ganze Strecke von Wien bis hierher gelaufen. »Du warst ja ziemlich schnell da«, sagte er zu Albin. »Sonst bin immer ich der Erste.« »Zufall. Ich war in der Nähe.«
    »Hier am Ende der Welt?

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