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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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sondern ganz allgemein. Heute ist einer von den Tagen, an denen ich keine Angst vor ihm habe. Deshalb waren es sogar angenehme Gedanken. Ich dachte, dass es gut ist, verbrauchte Dinge wegzuwerfen. Ich genieße es, zu entrümpeln. Einen ausgedienten Wagen aufzugeben, wackelige Möbel zu verschenken und abgetragene Mäntel in die Tonnen der Altkleidersammlung zu stopfen. Mit dem Körper ist es ähnlich. Auch er verbraucht sich und muss irgendwann weg.«
    Gregoritsch wandte Albin zum ersten Mal sein volles Gesicht zu. Zu Albins Überraschung war es groß und freundlich. Der Mann, dachte Albin, war einfach nur ein echter Wiener: Er dachte über das Sterben nach wie andere Menschen darüber, wo sie ihren nächsten Urlaub verbringen sollten. »Ronald Markovics’ Körper war noch nicht verbraucht. Er war erst fünfundvierzig.«
    »Erst? Wissen Sie, es ist eigenartig. Einerseits erschien mir in jungen Jahren ein Mensch von fünfundvierzig alt. Andererseits bewertete ich die Jahre zwischen zwanzig und achtzig als gleichwertig. Heute weiß ich, dass ich einen Wertverlust einkalkulieren muss. Der liegt ungefähr bei einem Prozent pro Jahr ab zwanzig.«
    »Markovics litt auch an einer Midlife-Crisis.«
    »Bei mir ist es keine Krise. Es gibt auch Dinge, die sich verbessern. Die Gelassenheit zum Beispiel. Die lernen Sie allerdings erst schätzen, wenn sie sich einstellt.«
    »Bei Markovics hat sie sich anscheinend nie eingestellt.«
    »Auch er durchlief den Prozess des Begreifens, dass das Leben wie jedes Buch einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat und dass die erste Hälfte mit der zweiten eben nicht vergleichbar ist. In der ersten liegt als dicker weicher Polster die Zukunft vor einem. In der zweiten warten das Alter und der Tod. Man muss umdenken und sich mehr auf die Gegenwart konzentrieren. Nicht jedem fällt das leicht.«
    Zwei Menschen mit Handtüchern stürzten lachend aus der Sauna in die Kälte. Ihre Rufe vermischten sich mit dem Wasser in der Luft. »Was soll ich Ihnen über Marko erzählen?«, fragte Gregoritsch.
    »Haben Sie ihn umgebracht?«
    »Nein.« Gregoritsch fand die Frage offenbar nahe liegend. »Obwohl ich mir in manchen Stimmungen vorstellen kann, zu töten.«
    »Aus Wut?«
    »Eher aus Leere und Gleichgültigkeit.«
    »Ich glaube nicht, dass viele Menschen aus Leere und Gleichgültigkeit getötet werden.«
    »Ich denke, es sind die meisten.«
    Gregoritsch wurde auf einmal lockerer. »Ich muss mich noch bei Ihnen entschuldigen. Erstens, weil Sie mich in einem nachdenklichen Augenblick erwischt haben, und zweitens, weil ich nicht pünktlich in meiner Wohnung war. Markos Tod beschäftigt mich nach all der Zeit doch sehr. Ein Glück, dass Sie mich aufgestöbert haben. Lassen Sie uns unten reden.«
    Gregoritsch ging voraus zur Glastür.
    Seine Wohnung erinnerte Albin an eine Hotelsuite der preisgünstigeren Kategorie: ein enges Vorzimmer mit Tür zum Bad, im Wohnzimmer ein grüner Spannteppich, Möbel aus gedämpfter Buche und eine rindslederne Sitzgruppe. Alles war gefällig, nichts ungewöhnlich. Auf dem Couchtisch türmten sich Manuskripte und in der Luft lag ein leichter Geruch von Hühnerkeulen. »Ich wohne schon zwölf Jahre hier«, sagte Gregoritsch. »Wegen der Aussicht auf den Wienerwald.«
    Er räumte die Manuskripte zur Seite und bot Albin einen Platz an. Seine Grübelei über den Tod war einer resignierten Heiterkeit gewichen. »Für mich war Marko ein Dichter«, sagte er, nachdem er eine Packung italienischen Orangensaft, eine violette Sodaflasche und zwei Kristallgläser gebracht hatte. »Er hatte Geistesblitze. Hätte er sich nicht von einer Agentur ausbluten lassen, hätte aus ihm ein brauchbarer Autor werden können. Die Werbung verschlingt viele Genies. Sie macht sie zu Fließbandproduzenten von Kommunikationsmüll. Bei Journalisten ist es wohl ähnlich. Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Schreiber und einem Künstler?«
    »Ich denke …«
    »Schreiben müssen beide können«, ließ ihn Gregoritsch gar nicht zu Wort kommen. »Wenn sie gut sein wollen, müssen sie sich mit der Sprache ausdrücken können wie ein Gitarrist mit der Gitarre. Den Unterschied macht der Schmerz. Nur er macht einen Schreiber zum Künstler.«
    »Das sind alte …«
    »Ich bin Lektor. Ich weiß es. Ich habe viele gesehen, die Großes schreiben wollten. Den meisten habe ich abgeraten, noch ehe sie den ersten Satz zu Ende gesprochen hatten und ohne eine Zeile von ihnen gelesen zu haben. Ich habe ein Gefühl

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