Rote Gruetze mit Schuss
zieht seine Polizeijacke über.
»De Hidde Kist« ist außergewöhnlich gut besucht. Klaas und Piet Paulsen sitzen auf Hockern an ihrem Stammtisch. Und an dem anderen, also an Stehtisch eins, steht Bounty, der sich bei Antje immer mal einen seiner Schokoriegel mit Kokosfüllung rausholt oder zum Fußball vorbeikommt. Doch heute ist das Spiel auf dem Großbildschirm nebensächlich.
»Leverkusen interessiert doch eh keine Sau«, sagt Bounty, der statt Schokoriegel heute Mettbrötchen isst.
»Swaantje is weg«, platzt es aus Klaas raus, als Thies in die Kneipe gestürmt kommt. Der kleine Postbote blickt bedeutungsvoll. »Leif war vielleicht fertig. Seit dem Frühstück hat er Swaantje nicht mehr gesehen.«
»Wieso? Swaantje war beim Friseur«, sagt Thies.
»Kann ja sein, aber als Leif abends nach Hause kommt, steht kein Essen auf ’m Tisch. Und normal gibt dat Freitag Schollen.«
Klaas hat alles fein säuberlich auf einem Paketbenachrichtigungsschein notiert. Die Geschichte mit den Schollen jetzt nicht, aber sonst alles.
»Gute Arbeit, Klaas«, sagt Detlefsen wichtig. »Was hat Leif gesagt, haben die Entführer sich schon gemeldet?«
»Wat denn für Entführer?«, will Paulsen wissen.
»Ja, wer sie entführt hat, weiß ich auch nicht. Muss ich morgen gleich mal sehen, dass wir in Kiel ’ne Fangschaltung beantragen.« Thies ist voll in seinem Element.
»Sach mal, Thies, meinst du tatsächlich, Swaantje is’ entführt worden?« Antje, die gerade ihre Teller mit Sauerfleisch, Kartoffelsalat und Roter Grütze vom Glastresen in den Kühlschrank zurückräumt, sieht Thies ungläubig an.
»Sieht ganz danach aus«, sagt er.
Thies fährt noch mal bei der Wache vorbei. Er weiß selbst nicht recht, was er da soll. Aber irgendwie muss er etwas tun. Für alle Fälle nimmt er seine Dienstpistole aus der Schublade und fährt noch mal durchs Dorf. Er hat keine Idee, wo er Swaantje suchen soll. Jetzt in der Nacht eine große Suchaktion zu starten findet er übertrieben. Aber irgendwie hat er ein komisches Gefühl. »Nach all den Jahren im Polizeidienst hast du einfach so ’n Bauchgefühl«, sagt Thies immer.
Er fährt noch mal ein Stück aus dem Ort raus die beiden Landstraßen ab. Es ist alles ruhig wie immer. Aber ihm fällt auf, dass sich in diesem Frühjahr einigesverändert hat in Fredenbüll. Die historische Glocke im Holzturm der Dorfkirche aus dem achtzehnten Jahrhundert, die vereinzelte Kulturreisende in die Gemeinde lockt, ist restauriert worden. Sie schlägt gerade zweimal. Der alte Dorfkrug, der seit fünfzehn Jahren vor sich hin gammelte, wurde abgerissen. An der kleinen Landstraße nach Neutönningersiel ist der neue Fahrradweg fast fertig. Es fährt nur niemand dorthin mit dem Rad, nur der Schimmelreiter – in seinem Corolla.
An der Bundesstraße Richtung Husum gibt es gleich mehrere neue Schilder: Gleich am Ortseingang »Feiern im Fachwerk«. Und die Straße weiter runter bei Dossmann, ein Stück vor seiner Hühnerhalle, soll das große neue Freigehege mit Bodenhaltung hinkommen. Die fünftausend Legehennen sind noch nicht drin, aber die riesige Reklametafel steht schon: »Freiheit, die man schmeckt«. Ein bisschen weiter auf dem Brachland, das eigentlich nicht mehr Dossmann gehört, steht handgemalt die Forderung: »Stoppt die Öko-Diktatur!« Das Schild hat früher schon mal da gestanden, dann war es ein paar Jahre verschwunden, seit diesem Frühjahr ist es wieder da.
Ein Stück weiter die Landstraße hinunter parkt dort am Waldrand seit letztem Herbst dieses Wohnmobil älteren Baujahrs mit dem rosaroten Neonherz hinter der Frontscheibe. Im Imbiss wurde darüber schon ausgiebig diskutiert. Thies vermutet die Aktivitäten eines osteuropäischen Mädchenhändlerrings. Er hat aber noch keine Ermittlungen aufgenommen. Heute Nacht ist die Frontscheibe des Campingbusses unbeleuchtet.Und ein anderes Auto mit Kundschaft ist auch nicht zu sehen. Detlefsen wendet.
In »De Hidde Kist« ist immer noch Licht. Das Spiel ist vorbei. Jetzt diskutieren die Trainer, und Antje scheuert den Grill. Piet Paulsen steht vor der Tür und raucht.
Als Thies nach Haus kommt, liegt Heike schon im Bett, ist aber noch wach.
»Heike, mit Swaantje Queen Mary gucken, dat wird wohl nix. Swaantje is entführt.«
3
Die Nacht ist stockdunkel. Nur aus der alten Remise am Rand des Waldes kommt ein schwaches Licht durch die kleinteiligen Fenster. Der alte Backsteinbau gehört eigentlich zum Gut der von Rissens, ist aber einen guten
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