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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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ihm Dr. Hannibal Lecter mit einem Stanley-Messer beigebracht. Das war ein Jahr, bevor Molly Graham
kennengelernt hatte, und es hätte ihn um ein Haar das Leben
gekostet. Dr. Lecter, der sich in der Regenbogenpresse als ›Hannibal der Kannibale‹ einen Namen gemacht hatte, war der zweite
Psychopath, den Graham gefaßt hatte.
Nach seiner Entlassung aus der Klinik hatte Graham beim
Federal Bureau of Investigation seinen Abschied eingereicht. Er
zog von Washington nach Florida, wo er auf einer kleinen Bootswerft in Marathon auf den Keys eine Stellung als Mechaniker
fand. Bis er Molly kennenlernte und in ihr herrliches altes Haus
auf Sugarloaf Key zog, wohnte er in der Nähe der Bootswerft in
einem Wohnwagen. Nun setzte auch er sich rittlings auf den
angeschwemmten Baumstamm und faßte Molly an beiden Händen. Ihre Füße hatten sich unter den seinen in den Sand gewühlt. »Weißt du, Molly, Crawford denkt, ich hätte irgendwie einen
besonderen Draht zu diesen Irren. Das ist bei ihm fast eine Art
Aberglauben.«
»Hängst du dem denn auch an?«
Graham beobachtete drei Pelikane, die in einer Reihe über
das von der Ebbe freigelegte Watt flogen. »Ein intelligenter Psychopath - vor allem ein Sadist - ist aus verschiedenen Gründen
nur sehr schwer zu fassen. Erstens besteht kein erkennbares
Motiv, womit bereits ein wichtiger Anhaltspunkt fehlt. Darüber hinaus können einem in solch einem Fall auch die üblichen Polizeiinformanten nicht weiterhelfen. Du machst dir keine Vorstellung, wie viele Festnahmen die Polizei vorwiegend aufgrund von Informationen aus einschlägigen Kreisen vornimmt. Aber das fällt in einem Fall wie diesem von vornherein flach. Es besteht sogar die Möglichkeit, daß nicht einmal der Täter selbst weiß, daß er die Tat begangen hat. Demnach muß man auf sämtliche vorhandenen Anhaltspunkte zurückgreifen und versuchen, sich mit ihrer Hilfe in seine Denkweise und Vorstellungswelt hineinzuversetzen. Man versucht, bestimmte Grundmuster her
auszuarbeiten.«
»Um sich auf seine Spur zu begeben und ihn aufzuspüren«,
fiel Molly ein. »Ich habe Angst um dich. Falls du dich tatsächlich darauf einläßt, diesen Irren - oder wie auch immer du diesen
Menschen nennen willst - zu jagen, habe ich einfach Angst, daß
dir dabei ähnliches widerfahren wird wie beim letzten Mal.« »Er wird mich nie zu Gesicht bekommen oder auch nur meinen Namen erfahren, Molly. Ihn zu fassen ist doch Aufgabe der
Polizei und nicht meine, falls wir ihm je auf die Schliche kommen sollten. Crawford ist hauptsächlich an meiner anderen
Betrachtungsweise interessiert.«
Sie beobachtete, wie die rote Sonne ins Meer tauchte. Darüber erglühten hohe Cirruswolken.
Graham liebte ihre Art, den Kopf zu drehen, ihm in aller
Bescheidenheit ihre weniger vorteilhafte Gesichtshälfte zuzuwenden. Er konnte das Schlagen des Pulses an ihrem Hals sehen
und glaubte mit einem Mal in aller Deutlichkeit, den Geschmack
von Salz auf ihrer Haut zu spüren. Er schluckte, als er hervorstieß: »Was soll ich denn tun?«
»Wozu du dich bereits entschlossen hast. Wenn du hier bliebst
und es zu weiteren Morden käme, würde dir dies vielleicht die
Freude an diesem Ort vergällen. High Noon und dieser ganze
Unsinn. Falls es so ist, war deine Frage keine wirkliche.« »Und wenn ich dich wirklich fragen würde - was würdest du
antworten?«
»Bleib hier bei mir. Bei mir und Willy. Natürlich würde ich
ihn ins Spiel bringen, wenn ich wüßte, es hätte einen Sinn. Aber
ich soll mir ja doch nur die Tränen abwischen und dir dann mit
dem naßgeweinten Taschentuch hinterherwinken. Und falls irgend etwas schiefgeht, werde ich die Genugtuung haben, daß
du das Richtige getan hast. Und davon werde ich mir dann auch
verdammt viel kaufen können.«
»Aber ich stünde dabei doch nie in vorderster Front.« »Ich kenne dich doch. Natürlich tätest du das. Ich bin wohl
sehr egoistisch, wie?«
»Darum geht es nicht.«
»Ich weiß. Es ist so anregend und schön hier. Aber oft weiß
man dieses Glück erst zu schätzen, wenn es zu spät ist.« Er nickte.
»Ich will dieses Glück weder so noch so verlieren«, fuhr sie
fort.
»Das werden wir auch nicht - weder so noch so.«
    Rasch brach die Dunkelheit herein, und dicht über dem Horizont wurde im Südwesten Jupiter sichtbar. Unter dem aufgehenden, noch fast vollen Mond gingen sie gemeinsam zum Haus zurück. Weit draußen, jenseits des Watts, sprangen Köderfische um ihr Leben.
    Nach dem Abendessen kam Crawford zurück. Um weniger

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