Roter Regen
Hüftschwung in Richtung Kundschaft.
Belledin beschäftigte sich bereits mit seinem Jägerschnitzel,
Killian pustete die Hitze vom dampfenden Suppenlöffel und genoss den würzigen
Geschmack der Brühe.
* * *
Es war deutlich zu viel Gepäck. Aber es war lange her, dass Bärbel
für zwei Wochen auf Reisen gewesen war. Länger als eine Woche war sie in den
Sommerferien nie auf Achse gewesen. Die sozialen und ökologischen Projekte in
der Region hatten sie zu sehr beansprucht, als dass sie sich mehr Zeit für sich
gegönnt hätte. Aber eben diese Lebensweise hatte Bärbel über die Jahre auch
ausgebrannt. Und deswegen hatte sie beim Schulamt nun um ein Jahr Beurlaubung
gebeten. Sie brauchte Pause und Neuorientierung. Swintha war zum Studium nach
Berlin gezogen, Killian war wieder in der Nähe, die Schüler und die Kollegen
hatten sie nur noch genervt.
Noch zwei Stufen, dann war es geschafft. Bärbel ließ die beiden
schweren Koffer vor der Wohnungstür auf den Dielenboden sinken und bückte sich,
um die Zeitungen der letzten zwei Wochen von der Fußmatte zu heben. Neben der
wöchentlichen ZEIT hatte sie auch
die Badische Zeitung abonniert.
Während sie die Tür öffnete, warf sie flüchtig einen Blick auf die
Schlagzeile der Tageszeitung. Man bejubelte das Ende des langen Regens. Bärbel
freute sich, dass das Wetter in der Toskana mild und sonnig gewesen war. So wie
man es sich eben vorstellte, wenn man für zwei Wochen knapp dreitausend Euro
bezahlt hatte. Aber das Geld war es wert gewesen. Immerhin war es kein normaler
Urlaub gewesen, den sich Bärbel genehmigt hatte. Dazu wäre sie gar nicht
imstande gewesen. Sie war unfähig, Urlaub zu machen. Auf einer Liege in der
Sonne zu garen käme ihr vor, als würde sie bereits Vorübungen für den Sarg
machen. Außerdem bekam sie sofort einen Sonnenbrand. Sie war rothaarig, ihre
Haut dementsprechend empfindlich.
Die hohe Altbauwohnung des Breisacher Bahnhofs glich einem feuchten
Kühlschrank. Sie würde einheizen müssen, um die Feuchtigkeit zu vertreiben; und
das im September. Bärbel ließ Wasser in die Badewanne laufen, legte Vivaldis
»Vier Jahreszeiten« auf und fühlte sich mit einem Bein noch in der toskanischen
Osteria, in der sie die letzten zwei Wochen die lauen Abende verbracht hatte.
Ein Deckel voll Rosmarinmilch, den sie ins Badewasser goss, rundete ihr
Wohlfühlprogramm ab.
Während sich die Wanne füllte, griff Bärbel den Stapel mit den
Zeitungen und sondierte auch ihre Post. Sie fluchte. Obwohl unten an der
Haustür ein dickes Schild besagte, dass sie keine Werbung in ihrem Briefkasten
duldete, hatten sich zahlreiche bunte Flyer unter ihre Rechnungen gemischt.
Aber ihr Groll galt eher Swintha, die noch immer nicht geschrieben hatte.
Swintha war wie ihr Vater, dachte Bärbel schmollend. Aus den Augen,
aus dem Sinn. Ein kurzes Telefonat hatten sie bislang geführt, und das war vor
sechs Wochen gewesen. Seitdem war Swintha von der Hauptstadt verschluckt.
Bärbel versuchte sich zu erinnern, wie es für sie selbst gewesen war, als sie
studiert hatte. Sie hatte allerdings nur in Freiburg studiert und war jedes
Wochenende nach Hause gefahren. Im Grunde war sie nie weg gewesen – die Entfernung
zwischen Freiburg und Breisach betrug nur dreißig Kilometer –, deswegen konnte
sie Swinthas Drang nach fernen Welten nur den Genen ihres Vaters zuschreiben.
Bärbel verfluchte Killian, wenn auch nur mit halbem Ernst. Es ging ihr für ihre
Verhältnisse gerade zu gut, als dass sie sich wegen eines selbst gebastelten
Dramas die Laune verderben wollte.
Denn Bärbel studierte selbst wieder und war festen Willens, die
Prüfung als psychologische Heilpraktikerin zu bestehen. Der Hauptunterricht
fand im Paracelsus-Institut in Freiburg statt, aber für die Intensiveinheit war
der Kurs für zwei Wochen in dem mittelalterlichen Ort Farnese abgetaucht. Und
dabei hatte sie sich ein wenig in ihren Lehrer verguckt. Richtig verliebt war
sie zwar noch nicht, aber die Voraussetzungen waren gegeben, dass es mehr
werden konnte. Thomas Hartmann war charmant, intelligent, hatte große Pläne –
und er konnte zuhören. Es war zu schade, dass er nach der ersten Woche schon
wieder abreisen musste. Christa hatte ihre Sache zwar auch ganz ordentlich
gemacht, aber von Thomas konnte man schlicht mehr lernen. Es war erstaunlich,
wie sich alles, was er sagte, sofort in Bärbels Hirn einbrannte. Sie fragte
sich, ob sie jemals an einen ihrer Schüler so direkt Wissensstoff hatte
vermitteln
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