Roter Staub
universell oder gütig, konnte
Menschen daran hindern, Menschen zu sein. Aber die Lügen waren
bloß kleine Lügen, persönliche Lügen.
Große öffentliche Lügen waren nicht mehr
möglich, weil das einzige System, durch das sie hätten
ausgestreut werden können, jetzt zu durchsichtig war, als
daß Lügen unentdeckt hätten hindurchschlüpfen
können.
Nichts Wichtiges war verborgen oder konnte verborgen werden, oder
zumindest nicht für lang. Theoretisch konnte jeder eine Meinung
zu jeder Entscheidung des Herrschers ausdrücken. Die meisten
taten es nicht. Das letzte Mal, als die Welt sich vereinigt und man
beschlossen hatte, den Anarchisten jemanden zur Unterstützung zu
senden, das war ein Jahr nach dem Beginn der Regen gewesen. Denn
zumeist reicht es aus, daß sie so, wie sie lebten, weitermachen
konnten, reichte es aus, daß sie den Job finden konnten, den
sie wollten, daß es genügend zu essen gab, sie ein Dach
über dem Kopf hatten und es eine Zukunft gab für ihre
Kinder.
Dennoch wußten einige von der Tochter des Hauses Kong und
kümmerten sich um sie. Ein Schwarm Flossler, deren
vorgestülpte Stirnen schwanger waren von einem Wissen,
eskortierte ihre Barke auf ihrer Reise den Großen Kanal hinab,
und ein paar Menschen versammelten sich oben am Aufzug, um sie
jubelnd zu begrüßen, als sie den letzten Teil ihrer Reise
antrat.
Jetzt stand sie vor dem Mast der kleinen Barke und beobachtete den
Meereshorizont auf das erste Anzeichen ihres Ziels. Der Salzwind
peitschte und füllte das schwellende Segel über ihrem Kopf.
Er stand günstig aus dem Auge des Südens und trieb das
kleine Schiff über die bitteren, schlammigen Meere des Mars auf
die Insel des Tigerbergs zu, wo sie den verlorenen Jungen finden und
in ihm Wei Lees neuen Anfang wiederbeleben würde, und dies
letztlich auf eine Weise, wie in solchen Erzählungen
traditionell üblich ist – mit einem Kuß.
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