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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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wahrnahm – und sich an sie zu erinnern. Von seinem Vater lernte er Geduld und die Fähigkeit, sich unter den Toten wohl zu fühlen.
    Das war die Welt, in der er einmal leben würde, wie er glaubte; eine Welt, deren Grenzen bestimmt waren von den ihm vertrauten Straßen und von teebraunen Seen, auf denen sich der blassblaue Himmel spiegelte und der schartige Horizont, den die scheinbar endlosen Kiefernwälder bildeten.
    Aber so sollte es nicht kommen.

A m Morgen nach dem Besuch des Kommissars steckte Pekkala seine Erdhütte in Brand.
    Er stand auf der Lichtung, während der schwarze Rauch in den Himmel aufstieg. Die brennenden Balken knackten und knisterten, Hitze schlug ihm entgegen. Auf seiner Kleidung landeten Funken, die er wegwischte. Die Farbeimer, die er seitlich an der Hütte aufgestellt hatte, loderten auf, als sich der Inhalt entzündete. Er sah mit an, wie das Dach auf das sorgfältig gemachte Bett, den Stuhl und den Tisch krachte, die so lange seine einzigen Gefährten gewesen waren, dass ihm die Welt draußen mittlerweile eher als ein Traum erschien und nicht als die Wirklichkeit.
    Das Einzige, was er vor dem Feuer bewahrt hatte, war ein Tragebeutel aus hirngegerbtem Elchleder. Darin hatte er die Waffe in ihrem Holster, das Buch und das Smaragdauge verstaut.
    Als von der Hütte nur noch rauchende Balken übrig waren, wandte sich Pekkala ab und machte sich auf den Weg. Kurz darauf war er zwischen den Bäumen verschwunden und strich lautlos durch das Gehölz.
    Stunden später trat er aus dem unwegsamen Wald auf den Holzweg. Gefällte Bäume, in Zehnerreihen aufgeschichtet, warteten auf ihren Abtransport zum Sägewerk des Gulag. Rindenstücke bedeckten den Boden, der eindringliche Geruch frisch geschnittenen Holzes erfüllte die Luft.
    Pekkala entdeckte den Wagen – genau, wie der Kommissar versprochen hatte. Das Fabrikat hatte er noch nie gesehen. Mit seiner abgerundeten Motorhaube, der schmalen Windschutzscheibe und dem hochgezogenen Kühlergrill hatte das Fahrzeug etwas Hochnäsiges an sich. Die blau-weiße Plakette am Kühler wies den Wagen als einen »Emka« aus.
    Die Türen waren geöffnet. Leutnant Kirow lag auf der Rückbank, seine Beine ragten heraus. Er schlief.
    Pekkala packte Kirow am Fuß und schüttelte ihn.
    Kirow schrie auf, kam taumelnd aus dem Wagen und zuckte im ersten Augenblick vor der bärtigen und in Lumpen gehüllten Gestalt zurück. »Sie haben mich zu Tode erschreckt!«
    »Bringen Sie mich ins Arbeitslager zurück?«, fragte Pekkala.
    »Nein. Nicht ins Lager. Ihre Tage als Gefangener sind gezählt.« Kirow wies ihn an, hinten einzusteigen. »Vorerst zumindest.«
    Kirow wendete den Emka und trat die lange Rückfahrt zur Ortschaft Oreschek an. Nach einer Stunde auf dem holprigen, ausgewaschenen Weg verließen sie den Wald und gelangten in die offene Landschaft, deren Weite Pekkala namenlose Angst einjagte.
    Kirow sprach nicht, sondern behielt lediglich Pekkala im Rückspiegel im Auge, wie ein Taxifahrer, der sich darum sorgte, ob sein Gast auch den Fahrpreis bezahlen konnte.
    Sie kamen durch ein verlassenes Dorf. Die strohgedeckten Dächer der
Isba-
Hütten hingen wie gebrochene Pferderücken durch. Unter dem alten Kalkanstrich der Wände kam der Erdbewurf zum Vorschein. Fensterläden hingen lose an ihren Angeln, über den Boden zogen sich kreuz und quer die Spuren von nahrungssuchenden Tieren. Die Felder in der Umgebung lagen brach. Einzelne Sonnenblumen erhoben sich über hohe, alles überwuchernde Gräser.
    »Was ist hier passiert?«, fragte Pekkala.
    »Das ist das Werk der Konterrevolutionäre und Profitmacher des Amerikanischen Hilfswerks, die vom Westen eingeschleust wurden, um die Neue Wirtschaftspolitik zu sabotieren.« Die Worte kamen Kirow so geschwind über die Lippen, als hätte er noch nie etwas von Punkt und Komma gehört.
    »Aber was ist passiert?«, wiederholte Pekkala.
    »Sie leben jetzt alle in Oreschek.«
    Als sie schließlich Oreschek erreichten, fiel Pekkalas Blick auf die hastig errichteten Holzbaracken am Straßenrand. Die Gebäude waren anscheinend noch neu, aber schon jetzt wellte sich die Dachpappe. Die meisten dieser Bauten standen leer, dennoch schien die einzige Tätigkeit in der Ortschaft darin zu bestehen, noch mehr davon zu errichten. Die Arbeiter, Männer wie Frauen, blieben stehen und sahen dem Wagen hinterher. Ihre Hände und Gesichter waren verdreckt, manche standen hinter Schubkarren, andere hatten mit Ziegeln beladene Tragegestelle

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