Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
extravaganterer Charakter als Kieffer war, hatte die Freude an der haute cuisine offenbar noch nicht verloren, war aber, wie viele Gourmets, stets auf der Suche nach einem noch größeren kulinarischen Kick.
»Wie genau wird diese Party dem Mann beim Ausleben seiner kulinarischen Fantasien helfen?«, fragte Kieffer.
»Er setzt Mifune unter Druck, ist das nicht offensichtlich? Daran, dass der Japaner in die Ehrenlegion aufgenommen wird, ist François nicht ganz unschuldig. Er hat den Präsidenten auf die Pionierleistung dieses Kochs aufmerksam gemacht. Und dann dieser pompöse Event – der japanische Botschafter kommt, der Vorstandschef eines amerikanischen Internetkonzerns …«
»… sogar die Chefin des berühmtesten Restaurantführers der Welt gibt sich die Ehre«, fügte Kieffer hinzu. »Wie praktisch, wo dem armen Mifune-san noch sein dritter Stern fehlt, wenn ich richtig informiert bin.« Kieffer erlaubte sich ein Grinsen und kassierte von Valérie dafür umgehend einen Ellbogenknuffer.
»Du bist unmöglich.«
»Ich habe aber recht.«
»Ja, hast du. Ich gehöre wohl tatsächlich zur Tischdekoration. Und dann diese absurde Location. Ist dir bewusst, dass er das ganze Musée d’Orsay hat sperren lassen?«
»Ist es nicht abends ohnehin geschlossen?«, fragte Kieffer.
»Es war auch schon den gesamten Nachmittag zu, wegen einer Privatführung für François’ ausländische Dinner-Gäste.«
»Und dieses ganze Brimborium wirkt sich positiv auf unser Abendessen aus? Da wäre ich ja skeptisch.«
Valérie zerrte an seinem Arm. »Hier müssen wir rechts.« Sie zog ihn näher zu sich heran. Kieffers Nase erhaschte einen Hauch von Chanel. »Ich weiß genau, wie mein hübscher Bürgermeister funktioniert. Wenn er von jemandem etwas will, dann überhäuft er ihn mit Aufmerksamkeit und Zuneigung. Von beidem hat er Mifune mit diesem Dinner derart viel zuteilwerden lassen, dass der Mann ihm aus lauter japanischem Ehrgefühl das beste Sushimenü auftischen muss, das je auf diesem Kontinent serviert worden ist.« Sie legte ihren Arm um ihn. »So zumindest stellt sich Monsieur Allégret den Verlauf des Abends vor.«
Kieffer wollte gerade eine Bemerkung über die französischen Politikern angeborene Großmannssucht machen, als der Gang nach links abbog und den Blick auf eine geöffnete Flügeltür freigab, vor der zwei Japanerinnen im Kimono standen. Dahinter lag ein Saal von der Größe eines Tennisplatzes, dessen hohe Wände und Decke überreich mit Gold und Stuck verziert waren. Durch die Fensterfront an der Nordseite eröffnete sich dem Betrachter ein fantastischer Blick auf Sacré-Cœur. Auf Staffeleien standen zahlreiche impressionistische Gemälde, die allesamt asiatische Motive zeigten. Kieffer erkannte einen Gauguin, der Rest sagte ihm nichts.
»Er hat die halbe Japonismus-Abteilung des Orsay hierher bringen lassen, der Wahnsinnige«, murmelte Valérie.
Der große Tisch in der Mitte des Raumes bildete einen deutlichen Kontrast zur absolutistischen Grandezza des Saals. Es handelte sich um eine Tafel aus unlackiertem Zedernholz, die mit schlichter japanischer Keramik eingedeckt war. Außer kleinen Schüsseln, Menükärtchen, Servietten und Essstäbchen lag nichts auf dem Tisch, weder Blumengestecke noch andere Dekorationen.
Hinter der Tafel, am anderen Ende des Saals, hatte man mehrere japanische Paravents aufgestellt, hinter denen sich offenbar ein Teil der improvisierten Küche verbarg. Vor den Reispapier-Wänden befand sich eine wuchtige Arbeitsplatte, an der ein Japaner mit pockennarbigem Gesicht stand. Das musste Mifune sein. Jedes Mal, wenn ein weiteres Grüppchen von Gästen eintrat, verneigte er sich tief.
Hinter dem Paravent tauchten nun weitere Frauen im Kimono auf und begannen, den Gästen Willkommensdrinks zu servieren. Insgesamt mussten es inklusiveValérie und Kieffer knapp 25 sein. Er erkannte einen deutschen Minister und einen französischen Fernsehmoderator; die anderen Leute waren ihm unbekannt.
»Wer sind diese Menschen? Kennst du die alle?«
»Fast«, erwiderte Valérie. Während Kieffer an geeistem Pflaumenwein nippte, flüsterte sie ihm die Namen der ihr bekannten Gäste zu. Allégrets Dinnerdekoration umfasste neben drei Ministern aus Deutschland und Frankreich den japanischen Botschafter, den Chef eines französischen Lebensmittelkonzerns, mehrere Medienmogule sowie einen amerikanischen Milliardär. Valérie studierte eine kleine Karte, auf der die Sitzordnung für den Abend
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