Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
gekauft.
Der Eiffelturm riss Kieffer aus seinen Gedanken. Er hatte plötzlich zu funkeln und zu blitzen begonnen, leuchtete nun im Schein Tausender Lichter. Dieses Touristenspektakel wiederholte sich allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit zu jeder vollen Stunde. Es musste folglich bereits 21 Uhr sein. Der Luxemburger warf seine Zigarette über die Brüstung und lief los. Am Ende der Brücke bog er nach rechts ab und ging raschen Schrittes den Quai Anatole hinunter, bis zum hell erleuchteten Musée d’Orsay.
Kieffer betrat die riesige Haupthalle des ehemaligen Bahnhofs. Ein Wachmann überprüfte seine Einladung.
»Am Ende der Allée Centrale befindet sich ein Fahrstuhl, über den Monsieur in den dritten Stock gelangt, zur Salle des Fêtes.« Er nickte und lief die Stufen zum etwas tiefer gelegenen Hauptgang hinunter. Im Mittelteil der Haupthalle standen Dutzende griechischer und klassizistischer Statuen. An den Wänden zu beiden Seiten waren Gemälde aufgehängt. Der Luxemburger passierte diverse Götter und Helden und blieb dann vor einem großen Ölschinken namens »Les Romains de la décadence« stehen. Kieffer betrachtete das Ensemble aus Weinkrügen, Speisen und nackten Leibern. Ihm wurde bewusst, dass er anscheinend der einzige Mensch in der wohl 30 Meter hohen, mehr als 100 Meter durchmessenden Haupthalle des Orsay war. Er lief weiter. Am Ende des Saals, unter einem riesigen Jugendstilrelief mit verzückt tanzenden Feen, erblickte er Valérie, die versunken auf ihren Blackberry starrte. Er betrachtete sie einen Moment, ohne etwas zu sagen. Die Gabin-Erbin trugein hinreißendes, goldfarbenes Knitterkleid aus Crêpe de Chine – und darüber eine ausgewaschene blaue Jeansjacke, die erstaunlicherweise gut dazu passte.
Als Valérie Kieffer erblickte, lief sie auf ihn zu und warf sich in seine Arme. Er hatte sich vorab einige Sätze zurechtgelegt, hatte etwas zu der seltsamen Art und Weise der Einladung sagen wollen, aber er kam nicht dazu. Denn Valérie küsste ihn sofort leidenschaftlich auf den Mund und schlang ihre Arme um seine Hüften. »Du bist hier«, murmelte sie. Sie schaute ihn aus ihren großen grünen Augen an, fuhr mit dem Finger über seine Nasenspitze. »Und wir haben das ganze Wochenende für uns, wenn du willst.«
Kieffer beschloss, die Diskussion über Valéries kritikables Kommunikationsverhalten auf einen deutlich späteren Zeitpunkt zu vertagen und lächelte sie stattdessen an. »Das wäre schön. Wobei ich den Eindruck habe, dass wir heute Abend nicht eine Minute allein sein werden.« Er deutete in Richtung des Eingangs. Dort war ein Pulk von Menschen aufgetaucht, der sich gerade vom Seitenflügel her in die Haupthalle schob. Vorneweg lief ein enorm gut aussehender, schlanker Mittvierziger, der von zwei jüngeren Männern mit Aktentaschen flankiert wurde.
»Ist er das? Unser Gastgeber?«, fragte Kieffer.
»Ja, das ist François, wie er leibt und lebt.«
Der Pariser Bürgermeister nahm lockeren, aber forschen Schrittes die Stufen hinunter zum Hauptgang. Er wich gekonnt einem marmornen Faun aus, drehte sich mehrfach um und winkte den Gästen zu, die hinter ihm durch die Türen drängten. Gleichzeitig parlierte er auf dem Handy mit einem Unbekannten und gab einemseiner jugendlichen Adlaten Handzeichen. Allégret trug einen perfekt maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd ohne Krawatte. Seine von ersten grauen Strähnen durchzogenen kastanienfarbenen Haare umrahmten ein braun gebranntes Gesicht, das in einen Modekatalog gepasst hätte: Charakterkinn, hohe Wangenknochen, leicht gebogene Nase.
»Euer Bürgermeister wäre auch auf dem Laufsteg gut aufgehoben.«
»Ja, er ist wirklich ein Schnittchen«, pflichtete Valérie Gabin ihm bei. Sie hakte sich bei Kieffer unter. »Aber ich kann dir versichern, dass wir beide völlig chancenlos sind.«
»Wir beide? Wie meinst du das?«
»Ich bin eine Frau. Und du bist zu alt.«
Kieffer verstand. »Deshalb die beiden … Assistenten?«
Sie nickte. »Aber jetzt Schluss mit dem Getratsche, hier kommt er.«
Sobald François Allégret die Gabin-Chefin erblickt hatte, reichte er das Mobiltelefon an einen seiner Gehilfen weiter und eilte auf sie zu. Er verneigte sich leicht, ergriff Valéries ausgestreckte Hand und hauchte einen Kuss darauf. »Wie zauberhaft Sie wieder aussehen, liebe Freundin.« Er warf einen bewundernden Blick auf ihr Kleid. »Sie sind wie geschaffen für Dior.«
Dann ging er auf Kieffer zu und griff mit beiden
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