Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
bisher nichts bemerkt zu haben.
»Du hast recht, Xavier«, flüsterte sie nervös. »Was passiert denn da? Was ist mit ihm?«
Bevor Kieffer antworten konnte, ertönte die donnernde Stimme Willinons. »Das ist ein Zen-Ritual, Ma’am. Unser Koch macht das auch.«
Valérie schaute den Amerikaner prüfend an. »Zen.«
Kieffer kannte diesen Blick und fragte sich, ob er den arglosen Kalifornier besser warnen sollte. Willinon fuhr unterdessen unbeirrt fort. »Es ist eine japanische Tradition, glaube ich. Eine innere meditative Versenkung, mit der sich der Koch einige Sekunden vor dem Fisch verneigt, bevor er ihn schneidet.«
Kieffer wollte einwenden, dass Ryuunosuke Mifunes Versenkung schon deutlich länger währte als einige Sekunden. Doch er kam nicht mehr dazu. Denn im gleichen Moment begann der stocksteife Koch zu wanken. Sein Teint wechselte ins Bläuliche. Andere Gäste sahen nun ebenfalls, dass etwas nicht stimmte. Unruhe machte sich breit.
Dann kippte Mifune nach hinten. Kieffer erhaschte noch einen letzten Blick auf das völlig versteinerte Gesicht des Japaners, bevor dieser mit lautem Krachen auf den hölzernen Dielen des Saals aufschlug.
[Menü]
2
Sie saßen in Valéries Büro an der Avenue de Breteuil und blickten aus dem Fenster. Über den Dächern der Stadt würde gleich die Sonne aufgehen. Kieffer sog an seiner Ducal. Dann sagte er: »Ich glaube, unser gemeinsames Wochenende ist hinüber. Vielleicht sollten wir das nächste Mal besser aufs Land fahren.«
Sie sprang vom Sofa auf und sah ihn zornig an. »Mein Gott, ist das alles, woran du jetzt denken kannst? Mifune ist tot!« Valérie Gabin lief durch ihr ebenso großes wie unaufgeräumtes Chefredakteursbüro und blieb vor einem überdimensionalen Fotoposter stehen, das einen Surfer auf einer gigantischen Welle zeigte. »Dein Zynismus ist manchmal unglaublich.«
»Schieb’ es auf mein Alter«, erwiderte er. »Es war übrigens als Scherz gemeint.«
Bevor Valérie etwas sagen konnte, klingelte ihr Handy. Während sie das Gespräch annahm, betrachtete Kieffer die Flasche Calvados, die vor ihnen auf dem Tisch stand und überlegte, ob er sich noch einmal nachschenken sollte. Er entschied sich dagegen. Es musste fast 5 Uhr sein, und er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen.
Nachdem Mifune während des Omakase umgefallen war, hatte es ein ziemliches Chaos gegeben. Der blau angelaufene Sushimeister war in ein Krankenhaus gebracht worden, mit dem Verdacht auf eine schwere Vergiftung. Er war dort zwar noch lebend angekommen, aber kaum eine Stunde später gestorben.
Die Pariser Polizei hatte die Gäste zunächst im Orsay festgesetzt, um sie gleich vor Ort zu verhören. Viele der Anwesenden waren Ausländer, und die Beamten befürchteten offenbar, ihrer zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr habhaft werden zu können. Auf Druck des Bürgermeisters hatte man sie dann relativ rasch gehen lassen. Valérie und Kieffer waren daraufhin zu Fuß zum Hauptquartier des Guide Gabin gelaufen, das sich unweit des Museums befand. Inzwischen waren mehrere Stunden vergangen, aber Valérie telefonierte immer noch, um weitere Details herauszufinden. Sie musste bereits ein halbes Dutzend Menschen aufgeweckt haben.
Seit einigen Minuten hörte sie nun schon einem Kieffer unbekannten Gesprächspartner zu, ohne Fragen zu stellen. Dann sagte sie: »Es tut mir sehr leid, François. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, ruf’ mich an, ja?« Danach legte sie auf.
Kieffer beugte sich vor, um seine Zigarette abzuaschen. »Was sagt der Bürgermeister?«
»Mifune ist definitiv an einer Vergiftung gestorben. Ein starkes Nervengift, das Lähmungserscheinungen hervorruft.« Er sah, dass sie schlucken musste. »Es führt im schlimmsten Fall zum Atemstillstand.«
»Er wurde vergiftet, sagt Allégret? Also ermordet?«
»Nein, das wohl nicht. Die Polizei geht vielmehr davon aus, dass es sich um einen tragischen Unfall handelt.«
»Einen Unfall mit Nervengift?«
»Ja, so seltsam das klingt. Man hat in Mifunes Körper eine tödliche Dosis Tetrodotoxin gefunden. Das ist das Gift, das in diesem japanischen Kugelfisch vorkommt.«
Kieffer pfiff leise durch die Zähne und blies dabei Rauch aus. Dann sagte er: »Fugu heißt er. In Japan eine Delikatesse. Wobei ich mich nicht erinnern kann, dass Kugelfisch auf der Menükarte stand.«
Sie schüttelte den Kopf und suchte in ihrer Schachtel vergeblich nach einer weiteren Zigarette. Kieffer hielt ihr seine Ducal hin.
»Nein, danke. Die
Weitere Kostenlose Bücher