Rotglut - Kriminalroman
»Meine Eltern und Carola kommen am Sonntag. Ich dachte, wenn sie so gegen 17 Uhr da sind, können wir noch schön mit einem Gläschen Sekt anstoßen und dann um 18 Uhr essen. Dann wird’s auch nicht so spät. Wir müssen ja alle am Montag wieder früh raus.«
Hölzle erstickte beinahe an einem Bissen, als ihm klar wurde, was am Sonntag, dem 27. Juni, stattfinden würde.
»Was hast du denn?«, fragte Christiane besorgt. »Hast du dich verschluckt?«
Hölzle hatte einen hochroten Kopf, bekam aber langsam wieder Luft und trank erst mal einen Schluck Mineralwasser.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, krächzte er und nahm einen weiteren Schluck Wasser. »Nicht am Sonntag. Sollen sie doch am Samstag kommen, das ist sowieso der bessere Tag zum Feiern.« Christiane hatte allen Grund dazu. Sie hatte ihre Promotion in Geschichte mit Erfolg abgeschlossen und vor Kurzem eine Volontariatsstelle im Staatsarchiv angetreten.
»Wieso, was ist denn so schlecht am Sonntag? Außerdem haben meine Eltern am Samstag keine Zeit.« Christiane runzelte die Stirn.
»Na, du kannst Fragen stellen. Hör mal, da spielt Deutschland gegen England! Das ist das Spiel! Auf gar keinen Fall will ich das verpassen. Im Übrigen habe ich mich schon längst mit Markus zum Fußballschauen verabredet. Er hat im Garten eine große Leinwand aufgebaut und einen Beamer geliehen. Das wird super. Harry, Peter und ein paar andere kommen auch.«
Christiane nahm sich eine weitere Ladung Spaghetti aus der gläsernen Schüssel. »Ooch, Fußball. Mein Gott, so wichtig ist das nun auch nicht. Schließlich habe ich meine Doktorarbeit fertig und eine Volontariatsstelle habe ich auch in der Tasche. Komm schon, Heiner, dieses eine Mal wirst du ja wohl verzichten können.«
Hölzle wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und legte Löffel und Gabel auf den Teller. »Nee, Christiane, bei aller Liebe. Deutschland gegen England, darauf kann man nicht verzichten. Wenn es gegen Griechenland oder so wäre, aber gegen die Pomms? Never.«
»Wann ist denn dieser Kick? Oder, weißt du was? Nimm doch Papa einfach mit. Der schaut bestimmt auch gern. Und anschließend kommt ihr nach Hause.«
›Des wird jo emmer besser‹, dachte Hölzle verzweifelt. »Mal ehrlich, ich glaube nicht, dass dein werter Herr Vater ausgerechnet mit mir Fußball schaut. Außerdem kann ich doch nicht einfach jemanden mit zu Markus schleppen.« Er hoffte, sie würde von dieser unsäglichen Idee abkommen. Doch Christiane tat ihm den Gefallen nicht.
»Ach, Quatsch, Markus ist doch völlig locker. Ich frag ihn einfach. Und überhaupt, was soll das: ›Mein werter Herr Vater und Fußball ausgerechnet mit mir‹«, äffte sie ihn nach.
Hölzle schenkte jedem Rotwein nach. »Das weißt du ganz genau. Ich bin doch deinem Vater nicht gut genug für dich. Das lässt er jedes Mal raushängen. Und mir hängt es zum Hals raus. Das Spiel ist um 16 Uhr. Bitte lass uns das Treffen verschieben.« Er trank einen großen Schluck Wein und seufzte.
Christiane stand auf und begann, den Tisch abzuräumen, Heiner schloss sich ihr an. »Ich red mal mit Papa. Einverstanden?«
Hölzle küsste sie auf die Wange. »Danke, mein Schatz.« Die Sache war geritzt, lachte er in sich hinein, der alte Johannsmann würde nie und nimmer mit ihm zum Fußball gehen.
*
Hannelore Uhlenbruck saß auf der Terrasse und versuchte, sich mit der Lektüre eines Buches abzulenken. Reich-Ranicki war vor ein paar Tagen für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden und sie hatte sich in der Stadt seine Biografie ›Mein Leben‹ besorgt. Doch es funktionierte nicht. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu ihrem tot geglaubten Mann zurück. Seither lebte sie in der Angst, dass er einfach hier auftauchen könnte. Sie war nur froh, dass Saskia sich mit den wenigen Informationen hatte abspeisen lassen. Auch dieses Mal war sie nicht ganz ehrlich zu ihrer Tochter gewesen, aber es war besser, wenn man die Vergangenheit ruhen ließ. Bisher hatte sie ihrem Mann Bertram nichts erzählt, aber der hatte schon bemerkt, dass sie irgendetwas beschäftigte. Und er würde nicht lockerlassen, dazu kannte sie ihn zu gut. Unbewusst kaute sie an ihrem rechten Daumennagel, das Buch lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß.
Sie schrak zusammen, als Bertram plötzlich hinter ihrem Liegestuhl stand, sich herunterbeugte und sie auf die Wange küsste.
»Gott, hast du mich erschreckt!«, fuhr sie auf und klappte das Buch zu.
»Entschuldige bitte, ich dachte, du hättest mich
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