Rotglut - Kriminalroman
kommen hören«, gab Bertram schuldbewusst zurück. Dann grinste er. »Hast du ein schlechtes Gewissen?«
»Wieso sollte ich ein schlechtes Gewissen haben«, entgegnete sie aufgebracht. Im Grunde war ihr klar, dass er sie nur necken wollte, aber im Moment hatte sie dafür nicht die Nerven.
Bertram Uhlenbruck zog sich einen Stuhl heran, nahm ihre Hand in seine beiden Hände und sah sie lange an. »So, Hannelore, jetzt sag mir endlich, was los ist. Seit Saskias Besuch bist du wie ausgewechselt, ja, ich würde sagen, du bist unausstehlich geworden. So kenne ich dich gar nicht. Und rede dich jetzt nicht schon wieder heraus, dass alles in Ordnung ist. Raus mit der Sprache, so schlimm wird’s schon nicht sein.«
Hannelore kämpfte mit sich, wie nur sollte sie reagieren? Sie kannten sich jetzt schon so viele Jahrzehnte, waren immer, bis auf diese eine Ausnahme, offen miteinander umgegangen. Nach einem kurzen Moment des Zweifels kam sie zu der Überzeugung, dass sie ihren Mann wohl doch besser einweihen sollte.
»Schlimmer. Raimund ist hier«, sagte sie mit belegter Stimme. Bertram sah seine Frau fragend an. Dann registrierte sie, wie es Bertram ganz langsam dämmerte. Genau diesen Gesichtsausdruck musste sie auch gehabt haben, als sie davon erfahren hatte.
»Das kann nicht sein. Du musst dich irren«, wies er das soeben Gehörte zurück. Hannelore schüttelte unmerklich den Kopf. Sie hatte das Buch neben ihren Liegestuhl fallen lassen und knetete nun mit beiden Händen den Saum ihrer Bluse. »Nein. Er war bei Saskia in der Praxis. Und du hast gesehen, wie fertig sie gewesen ist, als sie hier vor ein paar Tagen ankam.«
Bertram nickte. »Aber ich dachte, er wäre tot. Alle dachten, er wäre tot. Wie kann das sein?« Immer noch stand ihm die Ungläubigkeit ins Gesicht geschrieben. Hannelore schloss die Augen und schluckte. Eine Welle der Erleichterung machte sich in ihr breit, endlich konnte sie dieses Geheimnis, dass Raimund nie gestorben war, ihrem Mann anvertrauen.
Als sie geendet hatte, sah Bertram Uhlenbruck seine Frau lange stumm an. Er musste das eben Gehörte zuerst verarbeiten. So viel hing von diesem Umstand, dass Raimund noch lebte, für sie ab. Er räusperte sich.
»Ich bin dir nicht böse, dass du mir bisher nie davon erzählt hast. Nur fassungslos über diese Nachricht. Ich kann verstehen, dass du mir das verschwiegen hast. Aber was, um alles in der Welt, will er hier? Nach all den Jahren?«
Hannelore zuckte mit den Achseln. »Saskia hat er erzählt, dass er sie noch einmal sehen wollte. Er scheint wohl ziemlich krank zu sein.« Hilflos sah sie ihn an.
»Und du glaubst, das ist alles?« Bertram schien offenbar ebenfalls Zweifel an Raimunds lauteren Absichten zu hegen.
»Ich weiß es nicht, Bertram, ich denke an nichts anderes mehr. Weißt du, was das für unsere Ehe bedeutet? Für unseren Sohn?«
Uhlenbruck nickte langsam. »Ich werde mich darum kümmern, ich versprech es dir.« Hannelore war in ihren Liegestuhl zurückgesunken. Ihr Gesicht hatte einen gequälten Ausdruck angenommen und sie hielt die Augen geschlossen. Sie hatte nur noch mit einem Ohr zugehört. Bertram würde irgendetwas unternehmen, Bertram wusste immer, was zu tun war. »Entschuldige mich bitte, ich muss noch telefonieren. Wir reden später weiter.« Er ging ins Haus, um sich zuerst einen Drink zu holen. Am besten einen dreifachen Whiskey, den hatte er jetzt wirklich nötig. Schwerfällig stieg er dann mit dem gefüllten Glas die Treppe nach oben, wo er sein Büro hatte. Dort suchte er die Nummer von Lutz Niederbeck heraus, der auch prompt abnahm, als Uhlenbruck anrief.
»Was gibt’s? Du rufst doch nicht ohne Grund an«, reagierte Niederbeck ohne Umschweife.
»Stegmann lebt und ist in Bremen.« Er hörte, wie der Mann am anderen Ende scharf die Luft einzog. »Okay«, sagte dieser dann. »Ich kümmere mich drum.«
Juni 1974, Bremen
Der Rasen könnte mal wieder einen Schnitt vertragen. Aber Vara hat keine Lust, sich als Gärtnerin ihrer Eltern zu betätigen. Seit sie zu Hause ausgezogen ist, kommt sie eigentlich nur noch in die Villa, wenn ihre Eltern unterwegs sind, um hier nach dem Rechten zu sehen, oder, wenn ihre Eltern mal wieder im Land sind, zu einem sonntäglichen Kaffeeklatsch, der allerdings immer wieder ausartet, weil sie regelmäßig mit ihrem Vater in die Wolle gerät. Er hat nichts dagegen gehabt, als sie nach dem Abitur Jura studieren wollte, am liebsten wäre sie ja nach Berlin gezogen, aber Jura in Bremen war,
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