Rotglut
Aktivitäten der RAF meinen. Die sahen sich ja auf der ›richtigen Seite‹. Aber die haben sich immer dazu bekannt, wenn sie etwas verbrochen haben, und das hätte Stegmann auch getan, wenn er diesem ›Gemeinwohl‹ zugehörig gewesen wäre«, meinte Hölzle ironisch. »Und wer ist die andere Seite, die für ›Gemeinwohl‹ steht? BKA, Polizei? Das hätten wir mittlerweile herausgefunden, wenn er einer von uns gewesen wäre. Ich glaube vielmehr, dass Stegmann in seinem früheren Leben beim Verfassungsschutz war. Vielleicht hat er auch die Seiten gewechselt. Vom Linke-Szene-Sympathisanten zu den Staatsschützern. Egal, wer auch immer ihm das Geld gegeben hat, hat Dreck am Stecken, war erpressbar, wollte Stegmann loswerden und hatte Angst vor Entdeckung. Das ist unser Mörder oder derjenige, der den Mord in Auftrag gegeben hat.«
»Verfassungsschutz. Na, Mahlzeit!«, war alles, was Schipper dazu einfiel.
Heiner Hölzle wusste, dass er viele Antworten auf diesen Fall nur durch das Studium der Akten des Verfassungsschutzes erhalten würde. Allerdings war ihm natürlich klar, dass das nicht einfach werden würde. War doch der Zutritt zum Archiv nur nach Rücksprache und in Begleitung eines Mitarbeiters dieser Behörde möglich. Er hatte den Leiter des Staatsarchivs angerufen und um ein dringendes Gespräch gebeten. Harry hatte er gleich dazu mitgenommen.
»Guten Tag, Herr Professor Bruns«, begrüßte Kriminalhauptkommissar Hölzle den Mann und stellte seinen Kollegen Schipper vor. Dann kam er umgehend zur Sache. »Ich brauche Ihre Hilfe«, begann er und registrierte die fragend hochgezogenen Augenbrauen seines Gegenübers. »Ich muss Zugang haben zu den Verfassungsschutzakten von 1974. Ich weiß durchaus, dass das eine ungewöhnliche Bitte ist, aber …«
Bruns stoppte ihn mit einer Handbewegung. »Herr Hölzle, Sie wissen, dass das nicht geht. Es tut mir leid.«
»Hören Sie«, versuchte Hölzle es erneut, »wir ermitteln in dem Mord, der vor Kurzem im Bürgerpark passierte, und wir haben den starken Verdacht, dass dieser mit einem früheren, bisher ungeklärten Fall in Zusammenhang steht.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Dem Entführungsfall Rosenberg. Und möglicherweise besteht auch eine Verbindung zum Bombenattentat am Bremer Hauptbahnhof im Dezember 1974.«
Professor Bruns rang lange mit sich. Nur zu gut konnte er sich an den Entführungsfall und die Ermordung des Bankiers erinnern. Immer, wenn im Zeitungsarchiv von Reportern oder interessierten Laien zu ungeklärten Mordfällen in Bremen recherchiert wurde, stand der Rosenberg-Fall mit an der Spitze der Wunschliste. Und er kannte Elvira Rosenberg, sie hatte vor einigen Jahren seine Frau behandelt. Diese Frau hatte sich nie ganz von diesem Drama erholt. Eigentlich fast jeder in seinem Alter, der in Bremen lebte oder damals in Bremen gelebt hatte, wusste um die traurige Familiengeschichte. Dann endlich hatte Bruns eine Entscheidung getroffen.
»Sie wissen, dass mich das Kopf und Kragen kosten kann?« Hölzle nickte betreten und sah zu Boden.
»Kennen Sie den Film ›Nur 48 Stunden‹?«, fragte Bruns unvermittelt.
›Wie kommt’r denn jetzt do drauf?‹ Heiner Hölzle hob den Kopf und glaubte, ein schelmisches Grinsen über das Gesicht des Professors huschen zu sehen.
»Ich gebe Ihnen beiden genau 48 Stunden Zeit, dann müssen Sie entweder gefunden haben, was auch immer Sie suchen, oder ich hole Sie eigenhändig aus den Katakomben.«
Hölzle glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, strahlte den Professor an und bedankte sich überschwänglich. Bruns winkte ab. »Ich tue das nur in zweiter Linie für Sie. Vor allem mache ich das für Elvira Rosenberg. Sie hat meiner Frau praktisch das Leben gerettet.« Er schob sich seine Brille, die etwas heruntergerutscht war, zurück auf die Nase. »Einer meiner Mitarbeiter wird Sie die ganze Zeit über im Auge behalten.« Bruns griff zum Hörer und bat einen Kollegen zu sich, der auch wenige Minuten später erschien. Bruns erklärte kurz die Situation, dass die beiden Beamten ausnahmsweise ins Archiv des Verfassungsschutzes dürften, dass er bitte darüber Stillschweigen zu bewahren habe und dass er die beiden Kommissare nicht aus den Augen lassen dürfe. Bruns’ Kollege, ein älterer Mann mit schütterem Haar und einer Brille mit dicken Gläsern, war offensichtlich durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Er nickte nur, als sei dies das Selbstverständlichste von der Welt.
»Also los, packen wir es an!«,
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