Rotglut
legen willst?«, fragte er vorsichtig, wohl wissend, wie Hölzle darauf reagieren würde.
»Sag mal, geht’s noch? Die Frage hast du mir nicht allen Ernstes gestellt, oder?«, fauchte Heiner Hölzle.
Harry schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Aber ich könnte es verstehen, wenn du dich so entscheiden würdest. Das kann dich deine Karriere kosten, wenn du dich mit den Anzugfritzen anlegst.«
»Und? Die Bürger haben ein Recht auf Aufklärung und auf die Wahrheit. Wenn ich jetzt klein beigebe, kann ich mich nicht mehr im Spiegel anschauen. Was wollen sie denn machen? Mich vor die Tür setzen?« Hölzle fühlte, wie kalte Wut in ihm hochstieg. »Das sollen sie mal versuchen. Ich werde morgen mit Henri sprechen, mal sehen, was sie zu der ganzen Geschichte sagt.«
Juni 1974, Bremen
›Grüßen Sie mir Ihre Mutter‹, die Worte Stocks haben ihn wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Woher weiß der Typ bloß über seinen Vater Bescheid? Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht.
Stock hat an seinem Schreibtisch gesessen, ihn unverwandt angeschaut und mit einem Bleistift im Stakkato auf die Platte geklopft.
›Mein Lieber, das alles braucht Sie überhaupt nicht zu interessieren. Woher, wieso, weshalb. Die Hauptsache ist, dass wir Bescheid wissen und dass Sie erkennen, in welcher Lage Sie sich befinden.‹
Noch jetzt kann er den arroganten, herablassenden Ton der Worte hören. Stock weiß alles, aber auch wirklich alles, auch über den misslungenen Anschlag auf das Karstadt-Gebäude.
Stegmann war kurz davor gewesen, ihm einfach die Faust ins Gesicht zu rammen und zu gehen. Aber was hätte das gebracht? Auch der braune Umschlag mit den Fotos, die ihn beim Betreten und Verlassen des Hauses in Wolfsburg zeigen, hatte ihn eigentlich kalt gelassen. Was sollen diese Fotos schon beweisen? Er wollte einen ehemaligen Studienfreund besuchen, hatte diesen nicht angetroffen und war unverrichteter Dinge zurück nach Bremen gefahren. Na und? Über die Karstadt-Sache kann Stock doch eigentlich gar keine Details wissen. Hat Stegmann zumindest ein paar Sekunden lang geglaubt. Bis Stock ihn eines Besseren belehrte.
›Sagt Ihnen der Name Peer etwas? Haben Sie nicht Kontakt mit ihm aufgenommen? Ist nicht er es gewesen, den Sie damit beauftragt haben, eine Bombe zu legen und zu zünden?‹
Eine reine Unterstellung, auch jetzt hätte er einfach den Raum verlassen können.
›Oder der gezielte, ja, Sie hören richtig, der gezielte Schuss auf den Polizeibeamten, den Sie aus Ihrer Waffe abgefeuert hatten?‹ Der Bürstenhaarschnitt hat nicht lockergelassen.
Gibt es dafür einen Beweis? Nein! Schweigend hat Stegmann abgewartet.
Dann aber hat dieses Dreckschwein seine Mutter ins Spiel gebracht. Ihm gedroht, die wahre Identität seines Vaters, des brutalen Nazis, der Öffentlichkeit preiszugeben und damit den Namen seiner Mutter in den Schmutz zu ziehen. Alles hätte Stegmann hingenommen, vor Typen wie diesem verspürte er nicht die geringste Angst oder auch nur eine Spur von Respekt. Wieso auch? Solche Typen sind doch die reinsten Witzfiguren. Was hat er gegrinst, als die Einzelheiten der Guillaume-Affäre ans Tageslicht gekommen sind. Nur langsam hat sich die politische Lage in Deutschland in den Tagen nach dem Rücktritt Willy Brandts vom Amt des Bundeskanzlers am 6. Mai 1973 wieder beruhigt. Wegen einer Spionagesache hat dieser Mann zurücktreten müssen. Es ist Stegmann unerklärlich gewesen, dass Günter Guillaume über so viele Jahre hinweg für das Ministerium für Staatssicherheit unerkannt im Westen spionieren konnte und die oberste deutsche Sicherheitsbehörde nichts bemerkt hat. Solche Typen wie Stock machen sich doch einfach nur lächerlich. Aber Stock hat es tatsächlich in der Hand, das Leben seiner Mutter zu ruinieren. Ihr Name würde in der gesamten bundesdeutschen Presse auftauchen. Sie ist die Witwe eines ehemaligen KZ-Kommandeurs, und auch wenn dieser seit Jahren tot ist, so würde die Geschichte sicherlich weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Interesse wecken.
Stegmann ist gar nichts anderes übrig geblieben, als sich von Stock anwerben zu lassen, wenn er nicht das Leben seiner Mutter ruiniert sehen will. Und das erträgt er nicht.
›Wir werden uns zu gegebener Zeit bei Ihnen melden. Halten Sie weiterhin Kontakt zu Ihrem Freund Enno. Versuchen Sie jedoch nicht mehr auf eigene Faust, in die Szene reinzukommen. Wir kontaktieren Sie und Sie halten bis dahin die Füße still.‹
Mit diesen Worten ist
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