Rotglut
nicht auch den Rest zu übernehmen.«
Christiane bedankte sich und stand auf. Auch Mark Delano erhob sich, und als Christiane ihm die Hand zum Abschied reichen wollte, zog er sie an sich und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich würde mich freuen, Sie einmal wiederzusehen, Christiane«, raunte er leise.
Christiane Johannsmann fühlte sich mehr als geschmeichelt. In ihrem Bauch flatterten doch tatsächlich Schmetterlinge. Sie kramte wie ein nervöser Teenager in ihrer Handtasche, schob Bürsten, Schminktäschchen und Handy hin und her, bis sie ihre Geldbörse gefunden hatte. Aus dieser zog sie eine ihrer neuen Visitenkarten mit dem Doktortitel vor dem Namen – ein Mitbringsel ihres Vaters – und gab sie ihm. »Bis bald«, flötete sie und ging beschwingt – und das kam nicht nur von dem Grillo – zurück in Richtung Staatsarchiv.
Delano war zufrieden. Wenn jetzt noch die Fotos von Christiane und ihm gut waren, die aus der Nähe von einem Kollegen mit Marks Handy aufgenommen worden waren, müsste dies eigentlich genügen, um Hölzle in die Schranken zu weisen.
Auch Thorben Schmink, der sich die letzten Tage an Delanos Fersen geheftet hatte, war zufrieden. Er würde schon noch herausbekommen, um wen es sich bei diesem Mann handelte und warum Hölzle in seinem Büro so ausgerastet war. Und er hatte ein persönliches Interesse daran, was Christiane mit diesem Schönling zu schaffen hatte. Schmink betete die junge Frau seit Jahren an und wartete auf seine Chance, die er – das musste er sich eingestehen – wahrscheinlich nie bekommen würde.
*
Kriminalhauptkommissar Heiner Hölzle hatte nach dem Besuch dieses Lackaffen erst richtig Blut geleckt. Sie lagen goldrichtig mit ihrer Vermutung, dass der Verfassungsschutz seine Hände im Spiel hatte. Umso mehr drängte die Zeit, die alten Akten nach weiteren Hinweisen zu durchforsten.
›Mal gucka, wie weit der Harry isch‹, dachte Hölzle, schaltete die Musikbox aus, die, seitdem sein unangenehmer Besuch gegangen war, einen Hit der Flippers nach dem anderen von sich gab, und fuhr zum Staatsarchiv.
Harry saß schon seit dem frühen Morgen im Keller des Archivs hinter der Stahltür und wälzte die Akten. An der Tür saß, wie am Tag zuvor, der Angestellte des Archivs, der alles mit Argusaugen beobachtete und darauf achtgab, dass wirklich kein Stückchen Papier diesen Raum verließ.
Jetzt merkte Harry, wie seine Augen vom vielen Lesen ermüdet waren, und er dachte sehnsüchtig an eine Kaffeepause. Er wollte gerade umblättern, als sein Blick auf einen Eintrag fiel, der ihn schlagartig wach machte.
›25. Juni 1974 – RR entführt – Zuordnung linksradikale Gruppe – bislang jedoch keine Forderung eingegangen.‹
Harry rieb sich seinen Bart, seufzte darüber, dass er sich keine Notizen machen durfte, und blätterte weiter.
›27. Juni 1974 – RR Forderung DM 250.000 – Familie bereit zu bezahlen – Übergabe durch R.S. geplant – Federführend bei dieser Aktion ist Stock.‹
»Harry, wie sieht’s aus? Was Brauchbares gefunden?«, fragte Hölzle und schmunzelte, als Harry zusammenzuckte.
»Mann, Chef, warum schleichst du dich so an. Mein Herz wird auch nicht jünger«, beschwerte sich Harry. »Sieh mal hier«, er wies auf den Eintrag, den er gerade gefunden hatte. »Das ist doch was!«
»Allerdings.« Hölzle konnte kaum glauben, was er da las. »Peter hat mich gerade noch auf dem Handy angerufen. Er hat sich die Akten vorgenommen, die mit der Schießerei auf den Polizisten, der durch Stegmann umkam, zu tun haben. Es gab tatsächlich einen Augenzeugen, der gesehen haben wollte, dass Stegmann den Polizisten ins Visier genommen hatte und den Schuss direkt abfeuerte. Gerd Weidner hieß der Zeuge, und er ist bis zur Gerichtsverhandlung bei seiner Aussage geblieben, laut Polizeibericht.« Er räusperte sich.
»Am Verhandlungstag hat er dann ausgesagt, dass er sich nicht sicher wäre und die Kugel möglicherweise doch abgelenkt worden sei.«
Harry Schipper zog die Augenbrauen hoch. »Na, schau mal einer an. Das deckt sich mit den Erinnerungen des Typen von der Sicherheitsfirma.«
Hölzle fühlte sich immer mehr in seinem Verdacht bestätigt. Er lehnte sich gegen eines der Regale und berichtete seinem Kollegen von dem unangenehmen Besuch am Vormittag. Als er geendet hatte, pfiff Harry leise durch die Zähne.
»Sieht ganz so aus, als hätten wir in ein Wespennest gestochen. Bist du sicher, dass du den Fall nicht doch lieber zu den Akten
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