Rotglut
dort eintreffen, um die Lage zu sondieren. Die Lage sondieren … Stegmann ist ein paar Mal um den Wagen herumgegangen, hat mit seiner Taschenlampe ein Reh aufgeschreckt und ist fast über eine Baumwurzel gestolpert.
Nun lehnt er an der Kühlerhaube. Ihm ist mulmig. Er hat keine Waffe dabei. Stock hat ihm strikt untersagt, seine Dienstwaffe mitzunehmen, abgesehen davon hätte er die sowieso nicht einfach aus der Firma mitnehmen können. Vorsichtshalber hat er sich sein altes Schweizer Armeemesser eingesteckt. Er weiß ja nicht, was auf ihn zukommt.
Ab und zu vernimmt er leises Knacken, wohl ein Nachttierchen, das auf Beutezug ist. Stegmann blickt auf die Uhr, die Leuchtziffern strahlen in hellem Grün. Ein leises Brummen dringt an seine Ohren. Ein Geräusch, das er unter hundert anderen herausgehört hätte. Da kommt jemand auf einem Velosolex angeschnurrt. Das gibt es doch nicht, ein Entführer, der auf einem Velosolex in den Wald fährt, um Lösegeld für einen entführten Bankier einzusacken? Stegmann hat seinen Solex heiß geliebt, seinen ersten motorisierten Untersatz, und jetzt hört er unverkennbar das sanfte Gebrumme des Zweirades.
100 Meter vor ihm bleibt das Fahrzeug stehen, die kleine Lichtfunzel geht aus. Stegmann umklammert die braune Aktentasche mit dem Geld …
»He, Mann, haben Sie das Geld dabei?«, hört er eine dumpfe Stimme, als eine schlanke, hochgewachsene, gleichzeitig zierliche Gestalt sich nähert. Dunkle Jeans, dunkler Blouson, Pudelmütze mit Sehschlitz über dem Kopf.
›Die Stimme ist verstellt‹, geht es Stegmann durch den Kopf. Die Stimme ist sicher nicht so tief, wie es den Anschein hat. Ein Hustenanfall erschüttert die Person, und mit schlanker Hand zieht sie die Mütze etwas vom Mund, um besser Luft zu bekommen. Stegmann ist sich sicher: Vor ihm steht eine Frau, eine junge Frau. Stegmann wartet ab. Als der Hustenreiz abgeklungen ist, greift die Frau in ihre Umhängetasche, deren Klappe mit langen Lederfransen geschmückt ist, am Ende baumeln blaue Perlen. Irgendwie kommt ihm die Tasche bekannt vor.
Im ersten Moment befürchtet er, dass die Hand eine Waffe hervorzieht. Aber es ist nur eine Taschenlampe, deren Strahl ihm plötzlich grell ins Gesicht leuchtet. Abrupt stößt die Frau einen leisen Schrei aus, die Lampe entgleitet ihrer Hand, sie bückt sich. Stegmann nutzt seine Chance. Mit drei schnellen Schritten ist er bei ihr und noch bevor sie sich wieder aufrichtet, hat er ihr den Arm auf den Rücken gedreht. Sie schreit vor Schmerz und Wut auf. Mit seiner freien Hand zieht Stegmann ihr die Mütze vom Kopf. Im ersten Moment ist er sprachlos. Er hätte mit allem gerechnet, aber nicht mit dem Gesicht, welches sich hinter der Pudelmütze verborgen hat. Natürlich hat sie ihn ebenfalls erkannt, das ist ihm nun klar, deshalb hat sie auch die Lampe auf den Boden fallen lassen. Und die Tasche mit den Fransen und den Perlen gibt es auch nur einmal. Wo war sie noch her? Irgendwo aus Peru. Stegmann fängt sich als Erster und findet seine Sprache wieder.
»Na, da schau an. Dich hab ich aber zuallerletzt hier erwartet. Sag mal, hast du sie noch alle? Den Rosenberg zu entführen? Das hast du doch nicht allein gemacht. Wer steckt denn da noch mit drin?«, faucht er sie an.
Er lässt ihren Arm los und kann noch eben nach hinten springen, bevor ihn der gezielte Tritt der jungen Frau am Schienbein treffen kann. Sie presst die Lippen aufeinander und schaut ihn hasserfüllt an.
Stegmann empfindet allmählich die Situation erheiternd. Er steht hier mit seinem Aktentäschchen, prall gefüllt mit Bargeld, alles nicht registrierte Scheine, und vor ihm steht diese dumme Pute.
»Mädchen, Mädchen. So ein dummer Streich. Ich fasse es nicht. Hast du – oder habt ihr – geglaubt, ihr könnt es Andreas, Gudrun oder Ulrike nachtun? Tss, tss. Ihr kleinen Geister. Na, spuck schon aus, wer hat dir geholfen? He, nicht wörtlich nehmen, wenn du noch einmal spuckst, gibt es was in deine nette Fresse.«
Die Frau, die eben noch vor ihm ausgespuckt hat, duckt sich zurück. Stegmann meint es ernst, er würde sie wirklich zusammenschlagen. Sie holt tief Luft und funkelt ihn an.
»Wie wär’s, lass mich laufen, und du kriegst einen Anteil vom Lösegeld, sagen wir 10.000«, schlägt sie ihm vor.
»Sagen wir 10.000«, äfft er sie nach. »Sagen wir doch, ihr bekommt gar nichts und ich lass dich laufen. Oder du sagst mir, wer noch mit von der Partie ist. Schau, du kennst mich. Eigentlich bin ich die
Weitere Kostenlose Bücher