Rotglut
doch an, da ist was komplett schiefgelaufen«, erkennt Gue auf einen Blick. Unsanft schüttelt er das Mädchen am Arm.
»Au, das tut weh, lass los. Scheiß aufs Geld, das ist alles, was ich habe.« Aus ihrer Hosentasche zieht sie ein paar Geldscheine, wirft sie in die Luft und sieht mit großen Augen zu, wie sie langsam zu Boden trudeln.
Ihre Freunde schauen sie fragend an.
»Was soll das? Wo ist der Rest?« Gue ist misstrauisch.
»Der Rest? Der Rest wovon? Das ist alles, ich hab’s euch doch gesagt. Der Typ hat mich erkannt, er kennt auch euch oder zumindest dich. Wir können von Glück sagen, wenn wir, ohne verdächtigt zu werden, aus der ganzen Scheiße wieder rauskommen. Das Arschloch hat fast das ganze Geld für sich behalten, und wir? Wir können ihn noch nicht einmal verpfeifen, sonst sind wir nämlich dran.«
Verzweifelt stöhnt sie auf, springt aus dem Sessel und krallt sich Che, der ihr am nächsten steht. Sie zieht ihn an seinem T-Shirt dicht zu sich heran, ihre Gesichter berühren sich beinahe.
»Hört mir zu.« Ihre Stimme ist nun ganz ruhig. »Wir müssen Rosenberg jetzt sofort freilassen. Die ganze Sache ist uns total aus dem Ruder gelaufen. Das Geld ist futsch, und ein zweites Mal lass ich mich auf so ein hirnverbranntes Abenteuer nicht mehr ein …«, erklärt sie eindringlich.
»He, jetzt bleib aber mal auf dem Teppich. Das Ganze war doch deine bescheuerte Idee. Alles kein Problem, machen wir doch für einen guten Zweck.« Wütend äfft Gue ihre Stimme nach.
Vara schließt die Augen, atmet tief durch.
»Okay, es war meine gottverdammte, beschissene Idee«, gibt sie zu, »aber jetzt sag ich es euch noch einmal. Die Sache ist vorbei, Rosenberg muss hier raus. Jetzt, sofort.«
Sie greift sich ihre Pudelmütze, die unter den Sessel gerutscht ist, zieht sie auf und rollt sie über ihr Gesicht.
*
»Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Rosenberg vernimmt das Geschrei bis in sein Gefängnis. Irgendetwas muss passiert sein, was das Mädchen so fassungslos aufschreien lässt. Er bemüht sich, noch mehr aufzuschnappen, doch so sehr er die Ohren spitzt, kein Wort dringt mehr bis zu ihm.
Merkwürdig. Irgendwie erinnern ihn die Worte an etwas. Die Stimme, ein hoher Sopran, das letzte »Scheiße« kippt regelrecht weg, wird zu einer Art Krähen. Woher nur kennt er dieses schrille Geschrei? Rosenberg zermartert sich das Gehirn. Plötzlich dämmert es ihm – es ist erst vor ein, zwei Monaten gewesen. Seine Tochter hat um die Clubmeisterschaft im Tennis gespielt. Ihre Gegnerin schlug einen sicher geglaubten Ball ins Aus. Der Schläger flog in die Zuschauerreihen, ein hysterisches ›Scheiße, Scheiße, Scheiße!‹ beendete den unrühmlichen Auftritt der jungen Dame.
Er kennt sie! Im Augenblick dieser Erkenntnis öffnet sich die Tür zu dem Raum, in dem er gefangen gehalten wird. Rosenberg ruft den Namen der jungen Frau. Schlagartig ist es totenstill.
»Mein Gott, warum tust du das?«, fragt Rosenberg mit zitternder Stimme. In der selben Sekunde wird ihm bewusst, dass er einen verhängnisvollen Fehler begangen hat. Soeben hat er sein eigenes Todesurteil unterschrieben.
Und noch bevor er beteuern kann, dass er niemals etwas verraten wird, dass er niemals aussagen wird, wer hinter seiner Entführung gesteckt hat, dass er nie, nie, niemals …, spürt er die kühle Waffe an seinem Hals. Rosenberg schließt die Augen. Doch nichts geschieht. Er öffnet den Mund, doch bevor er etwas sagen kann, wird der Sack über seinem Kopf etwas angehoben und Klebeband fest über seinem Mund fixiert. Augenblicklich wird der Sack wieder nach unten gezogen. Im Raum herrscht Grabesstille.
Die Entführer verlassen schweigend den Raum. Kurze Zeit später hört er dumpfe Stimmen. Es scheint Streit zu geben. Kurze Zeit später kommen sie zurück. Rosenberg spürt einen Ruck an seinen Händen. Jemand macht sich an den Fesseln zu schaffen, ein weiterer Ruck, und er kann seine Hände wieder bewegen. Unsanft wird er auf die Beine gezogen. Seine Knie knicken ein, und mit einem Plumps fällt er zurück auf den Stuhl. Nun ziehen drei, vier Hände an ihm, stellen ihn erneut auf die Beine, ziehen ihn mit sich. Rosenberg stolpert über eine Schwelle, wird an einen Treppenabsatz geschoben, fällt über seine eigenen Füße, schlägt mit dem rechten Knie auf eine Treppenstufe. Vor Schmerz stöhnt er laut auf. Wie einen Mehlsack zerrt man ihn nach oben, schiebt ihn über einen weichen Teppich, dann plötzlich, kühle Nachtluft. Rosenberg
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